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VI. Sagen.
See, wo sie so tief war, daß er nicht hoffen konnte, es wieder zu
finden. Da ging Wieland hin und schmiedete ein Messer, das dem
verlorenen völlig glich.
Wie nun der König zu Tische ging, kam auch Wieland, diente
dem Könige und tat, als ob nichts vorgefallen wäre. Da'nahn:
Neiding eins der Messer, die vor ihm lagen, um damit ein Brot zu
zerschneiden, und das Messer schnitt durch das Brot und ein großes
Stück in den Tisch hinein. Darüber wunderte sich der König sehr
und sprach zu Wieland: „Wer kann wohl dieses Messer gemacht
haben?" — „Wer anders", antwortete Wieland, „als Amilias, Euer
Schmied, der alle Eure Messer gemacht hat und alles, was Ihr sonst
schmieden lasset?" Dies hörte Amilias, er trat hinzu und sprach:
„Herr, ich habe dieses Messer gemacht wie alle anderen hier. Ihr
habt ja keinen andern Schmied als mich." Aber der König versetzte:
„Niemals ist ein so guter Stahl aus deinen Händen gekommen. Wer
auch immer das Messer schmiedete, du warst es gewiß nicht." Darauf
blickte er Wielanden an und fragte ihn: „Hast du das Messer ge¬
macht?" Wieland antwortete: „Herr, es wird doch wohl sein, wie
Amilias sagt." — „Höre," sprach der König, „wenn du mir nicht die
Wahrheit sagst, so hast du meinen Zorn." Da sagte Wieland:
„Euren Zorn will ich nicht auf mich laden, wenn ich ihn vermeiden
kann," und erzählte, wie er das Messer verloren und ein neues ge-
schmiedet hatte.
Da sprach der König: „Ich dachte mir's schon, daß Amilias so
etwas nicht zu stände brächte. Nie sah ich ein so gutes Messer wie
dieses." Nun vermochte Amilias nicht länger zu schweigen. „Herr,"
sprach er, „es kann sein, daß Wieland dieses Messer machte; aber nie¬
mals werde ich zugeben, daß er besser zu schmieden versteht als ich.
Zuvor will ich unser beider Kunst auf die Probe stellen, ehe ich un¬
geschickter heißen will als Wieland." — „Gering ist meine Fertigkeit,"
sprach Wieland, „aber was ich kann, das will ich nicht verleugnen.
Mache du also ein Schmiedestück, und ich will ein anderes machen;
dann mag man urteilen, wessen das bessere ist." — „Laß uns wetten!"
sprach Amilias. Wieland antwortete: „Ich habe kein großes Gut;
aber wenn es dir gefällt, so wollen wir etwas dran setzen." Da
sagte Amilias: „Hast du kein Gut, so setze dein Haupt zum Pfand,
und ich setze das meine dagegen; wer der Geschicktere ist, der soll deni
andern das Haupt abschlagen." — „Es mag so sein," sprach Wieland,
„aber sage, was wollen wir schmieden?" — „Du magst ein Schwert
machen," antwortete Amilias, „ich will eine Rüstung anfertigen. Ver¬
mag dein Schwert, diese zu durchschneiden, so sollst du mir den Kopf
abschlagen; wo nicht, so will ich dir ganz gewiß das Leben nehmen." —