Full text: [Teil 4 = Quarta, [Schülerband]] (Teil 4 = Quarta, [Schülerband])

Grimm: Heinrich d.Löwe. — Stöb er u.Stieler: D.Sagen d.Strastb.Münsters. 120 
der Herzogin diese Antwort hinterbrachte, schaute sie den Fremden an 
und fiel vor Freuden zur Erden, weil sie ihren geliebten Gemahl er¬ 
kannte ; sie bot ihm ihre weiße Hand und hieß ihn willkommen.. Da 
entstand große Freude im ganzen Saal, Herzog Heinrich setzte sich zu 
seiner Gemahlin an den Tisch; dem jungen Bräutigam aber wurde 
ein schönes Fräulein aus Franken angetraut. Hierauf regierte Herzog 
Heinrich lange und glücklich in seinem Reich. Als er in hohem Alter 
verstarb, legte sich der Löwe auf des Herrn Grab und wich nicht da¬ 
von, bis auch er verschied. Das Tier liegt auf der Burg begraben, 
und seiner Treue zu Ehren wurde ihm eine Säule errichtet. 
44. Die Sagen des Straßburger Münsters. 
Nach August Stöber, Die Sagen des Elsasses, Straßburg, und Karl Stieler, Bilder aus 
Elsaß-Lothringen, Stuttgart. 
Wir stehell vor dem Münster in Straßburg. Wie Berg und 
Burg in den wiedergewonnenen deutschen Landen, so ist auch diese 
wunderbare Schöpfung der Kunst umwoben von dem duftigen Schleier 
der Sage, hinter dem die Ereignisse der grauen Vorzeit, die Menschen 
und ihre Taten aus längst entschwundenen Jahrhunderten für uns zu 
eigenartigem neuem Leben erwachen. 
Uralte, halbverklungene Sagen berichten, daß der Ort, wo jetzt 
das Münster sich erhebt und des wundervollen Turmes Spitze so 
kühn empor gen Himmel ragt, seit mehr denn zwei Jahrtausenden 
eine Gott geweihte und geheiligte Stätte sei. 
Lange, lange Zeit vor Christi Geburt, da stand auf der Anhöhe, 
auf der seitdem die weltberühmte Domkirche erbaut wurde, ein heiliger, 
dem Kriegsgotte geweihter Hain. Denn nicht in Mauern, von Menschen¬ 
händen aufgerichtet, und nicht unter irgend einer von menschlichem 
Geiste erdachten Gestalt beteten einst, im Heidentume, die alten Deut¬ 
schen ihre Götter an. Im geheimnisvollen, schaurigen Dunkel Heiliger- 
Haine, im undurchdringlichen Schatten dichtverwachsener Urwälder, die 
keine Axt berührte, da wohnte die Gottheit, unsichtbar und unerreichbar 
dem irdischen Auge; ihre Gegenwart aber und ihr Wirken wurden 
bezeugt durch das Rauschen der Wälder, das Lispeln der Blätter, 
das Gesprudel der Wellen, das Funkeln der Sterne und den Segen 
der Erde. 
Mitten im heiligen Haine, ohnfern des Users der murmelnd und 
plätschernd dahinfließenden Jll, erhoben sich stattlich drei nlächtige 
Buchen. Hoch empor wogten ihre Gipfel in die Lüfte, und weithin 
beschatteten ihre gewaltigen Äste das Heiligtum, wo der Gottheit ge¬ 
opfert wurde. 
Paldamus, Deutsches Lesebuch. Ausg. 0. Quarta. Hessen. 
9
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.