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wendet. Es gab mehrere Grade und Verschärfungen der Folter und in der Herstellung
der Peinigungs-Werkzeuge offenbarte sich eine bedauerliche Erfindungsgabe. Man
klemmte dem Angeklagten die Daumen in Schraubstöcke, dass das Blut unter den
Nägeln hervorsprang und schlug die zusammengepressten Gliedmaßen mit Peitschen
(bambergische Tortur); man schnürte ihm Arme oder Beine, letztere mit den sogenannten
spanischen Stiefeln, heftig zusammen, oder man presste mittelst des „mecklenburgischen
Instrumentes" die Daumen und großen Zehen übereinander; man reckte den Körper
des Angeklagten auf einer Leiter so auseinander, dass häufig die Gelente beschädigt
wurden, brannte ihn dabei mit einem Bündel angezündeter Kerzen an den Lenden
oder an den Armen u. s. w. Es unterliegt keinem Zweifel, dass mancher Schuldige
durch Anwendung der Folter zum Geständnisse seiner That gebracht wurde; ebenso
sicher ist es aber auch, dass völlig schuldlose Angeklagte sich im Übermaße des Schmerzes
zu Verbrechen bekannten, an welche sie vielleicht niemals gedacht hatten.
Die Fehmgerichte, welche besonders im 15. Jahrhunderte bedeutend hervortraten,
leiten ihren Ursprung auf die von Karl dem Großen reformierten deutschen Volts-
gerichte zurück. Nach dem Sturze Heinrich's des Löwen (§ 13) erlangten viele Stände
und Städte zwischen der Weser und dem Niederrhein die Reichsunmittelbarkeit und
traten hiedurch unter das Gericht des Kaisers. Kaiser Friedrich I. übertrug jedoch
seine gerichtsherrlichen Rechte an den Erzbischof von Cöln, der damals als Herzog
von Westphalen betrachtet werden konnte. Die Erzbischöfe von Cöln ließen die alten
germanischen Volksgerichte, welche in Westphalen oder „auf der rothen Erde“ sich fortwährend
erhalten hatten, weiter bestehen und übten als Obergrafen Einfluss, wenn esgalt, einen neuen
Freigrafen oder Gerichts-Vorssitzenden zu bestimmen. Das Fehmgericht, Freigericht oder der
Freistuhl fand nur in Westphalen, in der Regel zu Dortmund, statt, während viele
Tausende von „Wissenden“ über ganz Deutschland verbreitet wohnten. Die „Wissenden“
oder „Freischöffen“ (Schöppen) bildeten die Beisiter beim Ding oder Gericht und es
mujsste von ihnen eine bestimmte Anzahl anwesend sein, wenn das Urtheil Giltigkeit
haben sollte. Auch hatten die „Wissenden“ die Pflicht, jeden ihnen bekannten Verbrecher
vor dem Freigrafen anzuklagen. Jeder deutsche König ward bei seiner Krönung irt
die Zahl der „Wissenden“ aufgenommen, was aber nicht hinderte, dass Kaiser
Friedrich IIl. eine Vorladung vor den Stuhl der heimlichen oder heiligen Fehme
erhielt. Jeder Wisssende wurde „auf rother Erde“ über die Gebräuche und Sayungen
des uralten Volksgerichtes belehrt und dann vereidet. Es war ein furchtbarer Eid,
mit welchem er die Geheimhaltung der gemachten Mittheilungen beschwor und furchtbar
war auch die Strafe, welche über den Eidbrüchigen verhängt wurde. Er musste
schwören, „die heilige Fehme halten zu helfen und zu verhehlen vor Weib und Kind,
vor Feuer und Wind, vor allem, was zwischen Himmel und Erde ist." Alle Wissenden
oder Freischöffen erkannten einander sogleich an gewissen Zeichen und Sprüchen. Die
Fehme richtete in allen Streitigkeiten zwischen Mein und Dein (meistens in öffentlichen
Sitzungen!), besonders aber über solche Angeklagte, welche schwerer Verbrechen (Gottes-
lästerung, Mord, Raub, Verrath, Diebstahl u. s. w.) beschuldigt waren. Der Beschuldigte
wurde binnen sechs Wochen und drei Tagen vor den Freistuhl geladen, indem ein
Schöffe die Vorladung zur Nachtzeit an der Hausthüre des Verbrechers befestigte und
zum Beweise seiner persönlichen Anwesenheit drei Späne aus dem Thürpfosten oder
Thürriegel herausschnitt. Erschien der Angeklagte auf die erste Vorladung nicht, so
wurde er noch ein zweites- und drittesmal mit gleichen Terminen vorgeladen. War dies