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V.
Wie würde der Papst Benedikt V. staunen, sähe er jetzt
unser Hamburg wieder, das ihm im Jahre 965 nicht mit Un—
recht der schrecklichste Verbannungsort däuchte? Sähe er die
zu einem stolzen Becken aufgestaute Alster, die zu seiner Zeit
ungebändigt in vielen Rinnsalen dahinschlich, an deren Ufern
noch der Auerochs, der Bär und der Wolf den Grindel und
die Hhamme durchstreiften. Sähe er jetzt die heitere Pracht
der dortigen Villen und Gärten, wahrlich er würde sagen:
„Sieh Hamburg und lebe darin!“ KRönnte der große, unglück⸗
liche Erzbischof Adalbert, der von Hamburg aus geistlich die
Völker bis nach Island, Grönland, Cappland und Finnland be⸗
herrschte, freilich nur in der Idee, jetzt Hamburgs Handelsmacht
mit einem Blick umspannen, er würde finden, daß diese materielle
Herrschaft des heutigen Hamburgs weiter reicht, als einst seine
geistliche und auf festeren Grundlagen beruht. Ja, was würden
selbst die Männer von 1813 sagen, Tettenborn, Perthes und
Heß, zu deren Zeit die Pferde noch mühsam mit dem Fracht⸗
wagen ins Thor keuchten, und die Segelschiffe oft Wochen und
Monate lang erwartet wurden, sähen sie die endlosen Güter—
und Personenzüge leicht daherbrausen und die stolzen Schiffe der
Hamburg⸗Amerikanischen Gesellschaft mit reicher Fracht die Elbe
majestätisch am vorausbestimmten Tage heraufdampfen d Ja,
Hamburg hat eine glorreiche, tausendjährige Entwickelung hinter
sich. Seine unvergleichliche Lage ließ es alle Wechsel der Zeiten,
selbst das schwerste Unglück siegreich überdauern, stets erhob es
sich, glänzender als zuvor, aus vorübergehender Not. Zurück⸗
gegangen ist es nie, selbst nicht, als die Macht der Bansa sank.
So wird es auch unter den neuen Verhältnissen des verengerten
Freihafengebietes zu neuem Flor gedeihen.
Und in dieser herrlichen Stadt, der zweiten Stadt des Deutschen
Reiches, erhebt sich das neue, das fünfte Rathaus. Auch in
diesem Rathaus werden genug Aufgaben und Fragen der Zukunft
der geschickten Lösung durch Rat und Bürgerschaft harren.
Gott schütze und segne diese gute Stadt, den hohen Senat
und die Bürgerschaft, und alle, die darin wohnen oder flüchtig
weilen, Gewinn oder Erholung suchend; er schütze und segne sie
für alle Zeit, wie er sie bisher sichtbar gesegnet hat.
Otto Rũdiger.