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Jüngling der Fall. Der Ordensmeister hat den Kampf mit dem
Drachen verboten, und zwar unbedingt. Der Jüngling wird in sei¬
nem Thatendurst darüber unmutig und sinnt auf Bedingungen, unter
denen ihm der Kampf erlaubt, ja Pflicht zu sein scheint. Mit den
Ordensgelöbnissen findet er ihn sogleich in Einklang, da diese ihn
verpflichten, sich der Pilger anzunehmen. Ob die Pilger nach Je¬
rusalem oder nach der Kapelle auf dem Felsen wallfahrten, ob sie
von Sarazenen oder von Drachen bedroht werden, erscheint ihm ganz
unerheblich; hatte doch der Orden selbst sich nie so engherzig gezeigt
und von Anfang an die Pflege und Wartung der kranken Pilger mit
in seine Bestimmung aufgenommen. Auch über das zweite, schwie¬
rigere Hindernis ist er nach längerem Bedenken weggekommen. Nach
seiner Meinung findet das Verbot ans diejenigen keine Anwendung,
welche den Kamps mit solcher Bedachtsamkeit und Klugheit unterneh¬
men, daß sie eines glücklichen Ausgangs gewiß sein können. Das ist
aber eine willkürliche Deutung des Gesetzes, die ihn dahin bringt,
das erste Ordensgelöbnis, den Gehorsam, zu verletzen. Nachdem indes
der Meister ihm in ernsten Worten gezeigt, daß er die höchste Pflicht
verletzt hat, um eine geringere zu erfüllen, oder daß Gehorsam hoher
steht als Tapferkeit, kommt er zu der Erkenntnis seines Fehlers, be¬
reut ihn und unterwirft sich in Demut dem Ordensgesetz.
Still legt er von sich das Gewand,
Und küßt des Meisters strenge Hand,
Und geht.
Und diese vollständige Sinnesänderung, diese sittliche Wiedergeburt
macht ihn des Meisters würdig, bewirkt ihm dessen Verzeihung und
ehrenvolle Belohnung. Unter allen Ordensbrüdern wäre keiner wür¬
diger und fähiger gewesen, augenblicklich den Platz des Ordensmeisters
einzunehmen, als unser Jüngling. Er steht jetzt mit dem Meister¬
in der Gesinnung und Einsicht auf gleicher Höhe, groß und hoch über
dem gewöhnlichen Haufen. Das Kreuz, das ihn danieder geschmettert,
hat ihn auch wieder emporgerichtet.
Lüben-Racke.