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weg, fuhr der Rinderwagen die Leiche zur Stätte. Sollte sie
verbrannt werden, so schichtete man den Scheiterhaufen aus dem
Holz, das der Wald bot, besonders gern aus Eichenstämmen. Bei
Vornehmeren holte man oft kostbare Hölzer aus weiter Ferne
herbei. Waffen und Kleider zierten den Stoß; auch wohlriechendes
Holz ward auf die Leiche gelegt. Der Tote war gewaschen und
gekämmt. Dem Reichen wurden auch wohl Kämme und Rasier¬
messer beigegeben, wie das noch bis in die neuere Zeit in manchen
Gegenden Sitte geblieben ist. Dann ward sein Roß getötet, sein
Habicht, auch wohl der Singvogel, der ihm besonders lieb gewesen
war. Endlich tötete sich auch die Frau, die dem Gatten folgen
wollte, und der Diener. Es war eine Ehre und die höchste Be¬
lohnung für langbewährte Treue; denn kein Knecht ging zu Wodan
ein, außer wenn er im Geleit seines Herrn kam.
6. In allen Teilen des häuslichen Lebens traten durch den
Verkehr mit den Römern Veränderungen ein. Am Rhein und
an der Donau wurde Haus und Hausgerät reicher und zierlicher,
und das vollständige Unterkleid, das zu Tacitus'Z Zeit nur die
Vornehmen trugen, ward auch bei der Masse üblich.
Gar viele kannten römische Kultur und reicheres Leben aus
eigener Erfahrung, hatten lange Jahre als Soldaten oder Sklaven
in den prächtigen Städten Galliens, Italiens, Kleinasiens zuge-
gebracht oder sie doch auf einem flüchtigen Raubzuge staunend
bewundert und gekostet. Manches Stück römischer Industrie, manche
schöne Waffe und reicher Schmuck kamen in die einfachen Hütten
und Zelte dieser Waldbauern. Aber im ganzen blieb doch der alte
Zustand; alle jene Dinge blieben vereinzelter Erwerb und bildeten
einen Gegensatz zu der sonstigen Roheit.
Der wichtigste Fortschritt war die Vermehrung des Vor¬
rats an Metallwerkzeugen und Metallwaffen Eisen hatten die
Germanen zwar schon, als sie zum erstenmal mit den Römern
zusammenstießen, und mit aller Art Geräte aus Erz hatten die
Cherusker schon mehrere Jahrhunderte vor dem Beginn unserer
Nachrichten den ganzen Norden versorgt. Die Masse der Werk¬
zeuge und Waffen bestand freilich auch noch zu Tacitus' Zeit
aus Stein, Holz und Horn, daneben etwas Eisen und etwas mehr
Erz. Im Laufe der vier ersten Jahrhunderte nach Christus wurde
dieser Vorrat stark vermehrt, ohne doch die Steinaxt, die Holz¬
keule, den mit spitzen Knochen versehenen Pfeil zu verdrängen.
Es hob sich auch die Kunst, Metalle zu behandeln. Die Häupt¬
linge brachten Goldschmiede und Waffenschmiede von ihren Raub-
0 Tacitus: römischer Geschichtschreiber um das Jahr 100 n. Chr.