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Er kniet zur Bahre nieder, verhüllet sein Gesicht;
Ob er vielleicht im stillen geweint, man weiß es nicht.
17. Des Morgens mit dem frühsten steigt Eberhard zu Roß;
Gen Stuttgart fährt er wieder mit seinem reis'gen Troß.
Da kommt des Wegs gelaufen der Zuffenhauser Hirt.
„Dem Mann ist's trüb zu Mute! Was der uns bringen wird?"
18. „Ich bring' Euch böse Kunde. Rächt ist in unsern Trieb
Der gleißend' Wolf gefallen; er nahm, soviel ihm lieb."
Da lacht der alte Greiner in seinen grauen Bart:
„Das Wölflein holt sich Koäfleisch; das ist des Wölfleins Art."
19. Sie reiten rüstig fürder; sie sehn aus grünem Tal
Das Schloß von Stuttgart ragen, es glänzt im Morgenstrahl.
Da kommt des Wegs geritten ein schmucker Edelknecht.
„Der Knab' will mich bedünken, als ob er Gutes brächt'."
20. „Ich bring' Euch frohe Märe: Glück zum Urenkelein!
Antonia hat geboren ein Knäblein hold und fein."
Da hebt er hoch die Hände, der ritterliche Greis:
„Der Fink hat wieder Samen! Dem Herrn sei Dank und Preis!
87. Die MartinswanH.
Anastasius Grün, Sämtliche Werke, Leipzig (Hesse), 190«, V, S. 55.
1. Willkommen, Tirolerherzen, die ihr so bieder schlagt!
Willkommen, Tirolergletscher, die ihr den Himmel tragt,
Ihr Wohnungen der Treue, ihr Täler voller Tust!
Willkommen, Quellen und Triften, Freiheit und Bergesluft!
2. Wer ist der kecke Süütze im grünen Jagdgewand,
Den Gemsbart auf dem Hütlein, die Armbrust in der Hand,
Des Aug' so flammend glühet wie hoher Königsblick,
Des Herz so still sich freuet an kühnem Jägerglück?
3. Das ist der Max von Habsburg auf lustiger Gemsenjagd
Seht ihn auf Felsen schweben, wo's kaum die Gemse wagt!
Der schwingt sich auf und klettert in pseilbeschwingtem Lauf.
Hei, wie das geht so lustig durch Kluft und Wand hinauf!
4 Jetzt über Steingerölle, jetzt über tiefe Gruft,
Jetzt kriechend hart am Boden, jetzt fliegend durch die Luft!
Und jetzt? Halt ein, nicht weiter! Jetzt ist er festgebannt,
Kluft vor ihm, Kluft zur Seite und oben jähe Wand!
Str. 17. Zuffenhausen ist ein Dorf bei Ludwigsburg im Neckarkreis. —
Str. 18. nacht: „gestern abend". — Trieb: das getriebene Vieh, die Vieh¬
herde. — Str. 20. Antonia war mit dein Sohne des bei Döffingen gefallenen
Ulrich, Eberhard III., vermählt. — der Fink hat wieder Samen: Der Frühling
ist wieder da und mit ihm neue Hoffnung. — 87. Aus dem Romanzenkranz
„Der letzte Ritter". Ebenso 88 und 89. Sieh Lesestück Nr. 92. — Str. 1.
die Trift: die Weide, auf die die Herde getrieben wird. — Str. 2. Gemsbart:
aus deu Rückenhaaren der Gemsböcke verfertigter Hutschmuck.