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16b. Ä)Lnternacht.
Joseph Freiherr von Eichendorff, Gedichte, Leipzig (Bibliographisches Institut), o. I., S. 269.
1. Verschneit liegt rings die ganze
Welt,
Ich hab' nichts, was mich freuet;
Verlassen steht der Baum im Feld,
Hat längst sein Laub verstreuet.
2. Der Wind nur geht bei stiller
Nacht
Und rüttelt an dem Baume,
Da rührt er seine Wipfel sacht
Und redet wie im Traume.
3. Er träumt vowkünft'ger Früh¬
lingszeit,
Von Grün und Quellenrauschen,
Wo er im neuen Blütenkleid
Zu Gottes Lob wird rauschen.
4.
157. Ermutigung.
Friedrich Halm, Werke, Wien (Karl Gerolds Sohn), 1877, I, S. 6.
1. Sei stark, mein Herz! — Er¬
trage still
Der Seele tiefes Leid!
Denk', daß der Herr es also will,
Der fesselt und befreit.
2. Und traf dich seine Hand auch
schwer,
In Demut nimm es an!
Er legt auf keine Schulter mehr,
Als sie ertragen kann.
3. Er weiß es, was das beste ist,
Er weiß es, er allein.
Er weiß, daß du bekümmert bist.
Drum gib dich mutig drein!
4. Was nützt dein Jammern?
Fasse Mut!
Still' deiner Tränen Lauf!
Sie stacheln nur des Schmerzes
Glut
Zu Hellern Flammen auf.
5. Und wenn du Trän' aus
Träne häufst
Und weinest Jahr um Jahr,
Es kommt die Zeit, wo du be¬
greifst.
Daß alles Segnung war.
158. Die Lerche.
Heinrich Seidel, Neues Glockenspiel, Leipzig (Liebeskind), 1894, S. 134.
1. Aus demReich derniedrenDinge,
Der gemeinen Nützlichkeit
Hebt die Lerche ihre Schwinge
In den Äther blau und weit.
2. Steht ihr Nest auch wohl geborgen
Auf der festen Erde Grund,
Steigt sie aufwärts jeden Morgen,
Und das Höchste wird ihr kund.
3. Also von den Erdendingen
Wende aufwärts dein Gesicht,
Laß die Seele frei sich schwingen
Aus dem Staub ins goldne Licht.
4. Denn es lehrt die hohe Kunde
Dieser Vogel grau und klein:
Heimisch auf dem Erdengrunde,
Und des Himmels mächtig sein!
158. Str. 1. Äther: „Himmelsluft".
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