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stuf der Bahn.
Lin Dorf folgt dem andern. Die meisten bleiben weit im
Hintergründe liegen. Man sieht aus dem Grün, das sie umgibt,
nur den Kirchturm und hier und da ein Vach ragen. Manchmal
aber tritt auch ein Dorf so nahe an die Bahn, daß man hineinsehen
kann zwischen die Häuser und die Gemüsegärten mit Kohl und
Nüben, mit den Blütenkugeln der Zwiebeln und den Vierecken der
Stangenbohnen. Zwischen den Gbstbäumen sind Leinen ausgespannt,
an denen kleine Hemden und bunte Strümpfchen hängen. Huf den
Dächern in ihren Nestern stehen die Störche. vor den Türen der
Häuser spielen Kinder und Kätzchen. Man sieht auf den kleinen
Kirchhof mit den aus dem Grün hervorglänzenden weißen Steinen,
auf dem ein Geschlecht nach dem andern nach arbeitsamem, eng¬
umfriedetem Leben sich zur Nuhe legt.
Wie hübsch ist der kleine Weiher, von Weidengebüsch um¬
geben und ganz bedeckt mit weißen Wasserrosen. Darüber schweben
die schimmernden Libellen, die man sich vorstellt, da man sie von der
Bahn aus nicht sehen kann. Die weißen Schmetterlinge aber, die
über den Blumen der Grabenränder und Naine spielen, die sieht man.
Das Fließ, das zwischen Kopfweiden hingeht, von denen der
Nuf der Goldammer schallt, oder zwischen dichtem Lrlengebüsch,
das es verdeckt — wie lockt es, ihm nachzugehen, weit, weit, im
Schatten zu ruhen und wonnige Kühlung zu atmen! Welche mäch¬
tigen Gewächse erheben ihre weißen Dolden aus dem Grase des
Ufers, untermischt mit den roten Blütenähren des Weiderichs!
Dann Kiefernwald, sonnendurchglänzt, und immer wieder
Kiefernwald! Man glaubt den würzigen Duft zu spüren, welchen
die Nadeln im heißen Sonnenschein ausatmen. Nb und zu öffnet
sich gegen die Bahn hin ein durch den Wald führender breiter
sandiger Landweg,- darauf erscheint eine Frau, welche Neisig trägt,
oder ein alter Landbriefträger, der den gewohnten Weg durch den
Sand stapft.
Vornehmer sieht die Thaussee aus, auf beiden Seiten mit
Ebereschenbäumchen bepflanzt, deren Beerenbüschel im herbst so
prachtvoll korallenrot glänzen. Zuweilen fährt man durch eine
unsäglich magere Heide. Nber in das Grau des Bodens hat die
Natur wie mit roter Wolle die entzückenden Blumenkissen des wilden
Thymians hineingestickt. Line Schafherde weidet auf dem dürren
Grunde. Bei dem Nahen des Zuges flieht sie auseinander, der
Hund hinter ihm her, die bangen Tiere wegen ihrer Nngstlichkeit
scheltend und schmähend. Nachdenklich sieht der Hirt dem Zuge
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