Full text: [Teil 3, [Schülerband]] (Teil 3, [Schülerband])

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Moltke und den französischen Generälen über die abzuschließende Kapi— 
tulation verhandelt hatte, weckte mich der General Reille, den ich kenne, 
um mir zu sagen, daß Napoleon mich zu sprechen wünschte. Ich ritt 
ungewaschen und ungefrühstückt gegen Sedan, fand den Kaiser im 
offenen Wagen mit drei Adjutanten und drei zu Pferde daneben auf der 
Landstraße nach Sedan haltend. Ich saß ab, grüßte ihn ebenso höflich 
wie in den Tuilerien und fragte nach seinen Befehlen. Er wünschte 
den König zu sehen; ich sagte ihm der Wahrheit gemäß, daß Se. Majeslät 
drei Meilen davon, an dem Orie, wo ich jetzi schreibe, sein Quartier habe. 
Auf Napoleons Frage, wohin er sich begeben solle, bot ich ihm, da ich 
der Gegend unkundig, mein Quartier in Donchery an, einem kleinen 
Orte in der Nähe dicht bei Sedan; er nahm es an und fuhr, von 
seinen sechs Franzosen, von mir und von Karl, der mir inzwischen nach— 
geritten war, geleitet, durch den einsamen Morgen nach unserer Seite 
zu. Vor dem Ort wurde es ihm leid wegen der möglichen Menschen— 
menge, und er fragte mich, ob er in einem einsamen Arbeiterhause am 
Wege absteigen könne; ich ließ es besehen durch Karl, der meldete, es 
sei ärmlich und unrein; „N'importe“, meinte Napoleon, und ich stieg 
mit ihm eine gebrechliche Stiege hinauf. In einer Kammer von zehn 
Fuß Gevierte, mit einem fichtenen Tische und zwei Binsenstühlen, saßen 
wir eine Stunde, die andern waren unten. Ein gewaltiger Kontrast 
mit unserm letzten Beisammensein 67 in den Tuilerien. Unsere Unter— 
haltung war schwierig, wenn ich nicht Dinge berühren wollte, die den 
von Gottes gewaltiger Hand Niedergeworfenen schmerzlich berühren 
mußten. Ich hatte durch Karl Offiziere aus der Stadt holen und 
Moltke bitten lassen, zu kommen. Wir schickten dann einen der ersteren 
auf Recognoscierung und entdeckten eine halbe Meile davon in Fresnois 
ein kleines Schloß mit Park. Dorthin geleitete ich ihn mit einer 
inzwischen herangeholten Escorte vom Leib-Kürassier-Regiment, und 
dort schlossen wir mit dem französischen Obergeneral Wimpffen die 
Kapitulation, vermöge deren 40 — 60000 Franzosen, genauer weiß ich 
es noch nicht, mit allem, was sie haben, unsere Gefangenen wurden. 
Der vor- und gestrige Tag kosten Frankreich 100 000 Mann und einen 
Kaiser. Heut früh ging letzterer mit all' seinen Hofleuten, Pferden 
und Wagen nach Wilhelmshoͤhe bei Kassel ab. 
Es ist ein weltgeschichtliches Ereignis, ein Sieg, für den wir Gott 
dem Herrn in Demut danken wollen, und der den Krieg entscheidet, 
wenn wir auch letzteren gegen das kaiserlose Frankreich noch fortführen 
müssen. 
Ich muß schließen. Mit herzlicher Freude ersah ich heut aus 
Deinen und Marias Briefen Herberts Eintreffen bei euch. Bill sprach 
ich gestern, wie schon telegraphiert, und umarmte ihn angesichts Sr. 
Majestät vom Pferde herunter, während er stramm im Gliede stand. 
Leb wohl, mein Herz. Grüße die Kinder. 
Dein v. Bismarck.
	        
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