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66. Nürnberg.
In dem Worte „Nürnberg“ liegt ein Zauber für das deutsche
Gemüt. Jeder kennt es von Nindheit an, und jeder bewahrt ihm
ein dankbares Erinnern. Nürnberger Lebkuchen und Nürnberger
Spielsachen haben uns gar manche Stunde versüßt und vergoldet.
Der lindlichen Phantasie erscheint Nürnberg wie ein unerschöpfliches
Magazin voll der buntesten Bilderbücher, wie ein Eldorado mit den
niedlichsten Häusern, Bäumen, Pferden und Menschen, die man aus—
packen und einpacken kann, und man muß gestehen, daß es etwas
Ähnliches auch ist.
Wenn man der Stadt vom Bahnhofe aus sich nähert und die
Mauern rings herum sieht mit Zinnen, Schießscharten, Bollwerk und
Türmen, die breiten Gräben und die hängenden Brücken; wenn man
die tiefen gewölbten Thore durchschreitet und den ersten Blick in die
Straßen wirft, dunkel und kühl von den Schatten der hohen, zackigen
Häuser: so wird man sich sagen, daß man hier eine Wirklichkeit vor
sich hat, die für das Auge des Erwachsenen bunter und märchenhafter
ist, als es alle Pracht und Herrlichkeit der Baukästen jemals für das
Kind gewesen. Noch lange bevor man zu dem Eindruck des Einzelnen
gelangt, hat uns das Ganze in eine'traumhafte Stimmung versetzt, die,
mag man so viel davon vorausgenommen haben, als man will — uns
doch plötzlich überkommt und nicht mehr verläßt, so lange wir zwischen
diesen Hänsern, unter diesen Türmen, über diese Brücken wandeln.
Jede besondere Neigung und Vorliebe findet hier etwas, was sie
lebhaft anregt und beschäftigt. Der Historiker durchlebt hier noch
einmal die goldenen Tage deutscher Städtefreiheit, deren Glanz zurückfiel
auf des alten deutschen Reiches Herrlichkeit und sie vermehren half;
ihn grüßt noch der Reichsadler mit ausgebreiteten Schwingen von den
Thoren des Rathauses Und den Deckengewölben der alten Burg. Der
Kuͤnstfreund begegnet den Schatten der großen Meister in Stein, Holz
und Erz; und nachdem er die Werke bewundert, mit denen sie diese
ihre Heimat geschmückt, weilt er sinnend vor der Figur Albrecht Dürers
und vetritt ehrfurchtsvoll das Haus, welches ungefähr noch ebenso steht
wie damals vor vierhundert Jahren, wo Nürnbergs größter Sohn
darin wohnte. Dem Literaturkenner klingen die Weisen der Meister—
sänger ins Ohr, wenn er die Pegnitz rauschen hört, und ein Zug
bon Pietät wird ihn in jene kleine Gasse hinter der Frauenkirche
führen, „Hans-Sachsen-Gasse“ genannt, und vor ein Haus darin, welches
ut einem Gedenkstein geziert, die Inschrift trägt: „Hier wohnte Hans
Sachs, geboren am B. November 1494, gestorben am 25. Januar
1576. dDiese Namen und diese Jahreszahlen, welche Schemen für uns
waren, so lange wir sie nur in den Buͤchern lasen, werden auf einmal
lebendig vor uns, sie nehmen etwas Körperliches und Handgreifliches
n was sie uns näher bringt. Wir gehen in der stillen Mondnacht