Full text: [Teil 3, [Schülerband]] (Teil 3, [Schülerband])

279 
Durch solche Mittel sollte nun eine feste Mauer, eine undurch— 
dringliche Wand, die sich noch dazu als Base zweier himmelhoher 
Türme anzukündigen hatte, dem Auge zwar als auf sich selbst ruhend, 
in sich selbst bestehend aber dabei auch leicht und zierlich erscheinen 
und, obgleich tausendfach durchbrochen, den Begriff von unerschütterlicher 
Festigkeit geben 
Dieses Rätsel ist nun auf das glücklichste gelöst. Die Offnungen 
der Mauer, die soliden Stellen derselben, die Pfeiler, jedes hat seinen 
besonderen Charakter, der aus der eigenen Bestimmung hervortritt. 
Dieser teilt sich stufenweis den Unterabteilungen mit, daher alles im 
gemäßen Sinne verziert ist, das Große wie das Hleine sich an der 
rechten Stelle befindet, leicht gefaßt werden kann, und so das Angenehme 
im Ungeheuern sich darstellt. Ich erinnere nur an die perspectivisch 
in die Mauerdicke sich einsenkenden, bis ins Unendliche an ihren Pfeilern 
und Spitzbogen verzierten Thüren, an das Fenster und dessen aus der 
runden Form entspringende Kunstrose, an das Profil ihrer Stäbe, sowie 
an die schlanken Rohrsäulen der perpendikularen Abteilungen. Man 
vergegenwärtige sich die stufenweise zurücktretenden Pfeiler, von schlanken, 
gleichfalls in die Höhe strebenden, zum Schutz der Heiligenbilder 
baldachinartig bestimmten, leichtsäuligen Spitzgebäudchen begleitet und 
wie zuletzt jede Rippe, jeder Knopf als Blumenknauf und Blattreihe, 
oder als irgend ein anderes im Steinsinn umgeformtes Naturgebilde 
erscheint. Man vergleiche das Gebäude, wo nicht selbst, doch Abbildungen 
des Ganzen und des Einzelnen zur Beurteilung und Belebung meiner 
Aussage. Sie könnte manchem übertrieben scheinen: denn ich selbst; zwar 
im ersten Augenblick zur Neigung gegen dieses Werk hingerissen, brauchte 
doch lange Zeit, mich mit seinem Wert innig bekannt zu machen. 
Unter Tadlern der gotischen Baukunst aufgewachsen, nährte ich 
meine Abneigung gegen die vielfach überladenen, verworrenen Zieraten, 
die durch ihre Willkürlichkeit einen religiös düstern Charakter höchst 
widerwärtig machten; ich bestärkte mich in diesem Unwillen, da mir 
nur geistlose Werke dieser Art, an denen man weder gute Verhältnisse, 
noch eine reine Konsequenz gewahr wird, vors Gesicht gekommen waren. 
Hier aber glaubte ich eine neue Offenbarung zu erblicken, indem mir 
jenes Tadelnswerte keineswegs erschien, sondern vielmehr das Gegenteil 
sich aufdrang. 
Wie ich aber nun immer länger sah und überlegte, glaubte ich 
über das Vorgesagte noch größere Verdienste zu entdecken. Heraus— 
gefunden war das richtige Verhältnis der größeren Abteilungen, die so 
finnige als reiche Verzierung bis ins kleinste; nun aber erkannte ich 
noch die Verknüpfung dieser mannigfaltigen Zieraten unter einander, 
die Hinleitung von einem Hauptteile zum andern, die Verschränkung 
zwar gleichartiger, aber doch an Gestalt höchst abwechselnder Einzeln⸗ 
heiten, vom Heiligen bis zum Ungeheuer, vom Blatt bis zum Zacken. 
Je mehr ich untersuchte, desto mehr geriet ich in Erstaunen; je mehr
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.