Full text: [Teil 3, [Schülerband]] (Teil 3, [Schülerband])

griffen, die ein erleuchteter Geist in die Verfassung gethan haben würde; 
eben diese Unwissenheit, mit dem Nationalstolz verbunden, der jedem 
Spartaner eigentümlich war, stand ihrer Vermischung mit andern griechi— 
schen Stämmen unaufhörlich im Wege. In der Wiege schon waren sie 
zu Spartanern gestempelt, und je mehr sie andern Nationen entgegen— 
stießen, desto fester mußten sie an ihrem Mittelpunkt halten. Das 
Vaterland war das erste Schauspiel, das sich dem spartanischen Knaben 
zeigte, wenn er zum Denken erwachte. Er erwachte im Schoße des 
Staates; alles, was ihn umgab, war Staat und Vaterland. Es war 
der erste Eindruck in seinem Gehirne, und sein ganzes Leben war eine 
ewige Erneuerung dieses Eindruckes. 
Zu Hause fand der Spartaner nichts, das ihn hätte fesseln können. 
Nur im Schoße des Staates fand er Beschäftigung, Ergötzung, Ehre, 
Belohnung; alle seine Triebe und Leidenschaften waren nach diesem 
Mittelpunkt hingeleitet. Daher ist es kein Wunder, daß die spartanische 
Vaterlandstugend einen Grad von Stärke erreichte, der uns fast un— 
glaublich erscheint. Daher kam es, daß bei dem Bürger dieser Republik 
gar kein Zweifel stattfinden konnte, wenn es darauf ankam, zwischen 
Selbsterhaltung und Rettung des Vaterlandes eine Wahl zu treffen. 
Daher ist es begreiflich, wie sich Leonidas mit seinen dreihundert 
Helden die Grabschrift verdienen konnte, die schönste ihrer Art und das 
erhabenste Denkmal politischer Tugend: „Wanderer, kommst du nach 
Sparta, verkündige dorten, du habest uns hier liegen gesehen, wie das 
Gesetz es befahl!“ 
Faßt man nur die Absicht Lykurgs ins Auge, so ist seine Gesetz- 
gebung ein Meisterstück der Staats- und Menschenkunde. Er wollte 
einen mächtigen, in sich selbst gegründeten, unzerstörbaren Staat; poli— 
tische Stärke und Dauerhaftigkeit waren das Ziel, wonach er strebte, 
und dieses Ziel hat er soweit erreicht als unter seinen Umständen 
möglich war. Aber hält man den Zweck, den Lykurg sich vorsetzte, 
gegen den Zweck der Menschheit, so muß eine tiefe Mißbilligung an die 
Stelle der Bewunderung treten, die uns der erste flüchtige Blick ab— 
gewonnen hat. Alles darf dem Besten des Staates zum Opfer gebracht 
werden, nur das nicht, dem der Staat selbst nur als Mittel dient. Der 
Staat selbst ist nie Zweck, er ist nur wichtig als eine Bedingung, unter 
welcher der Zweck der Menschheit erfüllt werden kann, und dieser Zweck 
der Menschheit ist kein anderer als Ausbildung aller Kräfte des Men— 
schen. Hindert eine Staatsverfassung, daß alle Kräfte, die im Menschen 
liegen, sich entwickeln, hindert sie den Fortschritt des Geistes, so ist sie 
verwerflich und schädlich, sie mag noch so durchdacht und in ihrer Art 
mnoch so vollkommen seinn Ihre Dauerhaftigkeit selbst gereicht ihr als— 
dann viel mehr zum Vorwurf als zum Ruhme — sie ist dann nur ein 
verlängertes Übel; je länger sie Bestand hat, um so schädlicher ist sie. 
überhaupt können wir bei Beurteilung politischer Anstalten als 
Regel festsetzen, daß sie nur gut und lobenswürdig sind, insofern sie 
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