Full text: Deutscher Frühling (Band 6 = Klasse 4, [Schülerband])

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19. Erstlich galt's, der Römerrunen 
fremden Zauber zu ergründen; 
o, ein dornenvolles Rätsel, 
dessen Lösung kaum zu finden! 
20. Dann gefällig nachzubilden 
all die wunderlichen Zeichen; 
hohes Ziel, nur auserwählten 
Fingerkünstlern zu erreichen! 
21. Doch am schwersten war's, des 
Kreuzes 
milde Botschaft zu erklären; 
denn gar manchen Flachskopf dünkten 
Gotteswort und Heldenmären, 
22. WeißerEhristund weißer Balder, 
lichte Engel, lichte Elben, 
Jüngerschaft und Heerbannstreue 
ganz dasselbe, ganz dieselben. 
23. Nur begabtre Schüler wurden 
Hähern Zwecken zugeleitet 
und die sieben freien Künste 
lehrhaft ihnen ausgedeutet. 
24. Schwer und ungelenkig waren 
noch der deutschen Zunge Laute 
gleich den ersten Schritten eines 
Hünenkinds im heidekraute. 
25. Rasch indes wie eh'rne Pfeile, 
klingend fiog das Wort der Römer 
von den Lippen, kurz und schneidig 
wie das Schwert der Weltbezähmer. 
26. willig bot es knappe Schärfe 
Logikern und Exegeten, 
Kraft und Fülle den Rhetoren, 
Reim und Rhythmen den Poeten. 
27. Preis den braven schwarzen 
Mönchen, 
preis den wackern Kuttenträgern, 
alles menschlich schönen Wissens 
frommen Hütern, treuen Pflegern! 
28. Was auf Hellas' blauen Bergen, 
was einst am Tyrrhenermeere 
Dichter sangen, Denker dachten, 
später Welt zu Luft und Lehre, 
29. Was der Geist geweihten Sehern 
offenbart' in Sturm und Stille, 
Wort und Werk des Gottessohnes, 
als er ging in Manneshülle: 
30. Von der Mönche hand geschrieben 
Blatt auf Blatt mitMüh' undSorgen, 
in den Truhen der Abteien 
lag es liebevoll geborgen. 
31. Zärtlich ward der Schatz be¬ 
trachtet, 
mit bescheidnem Stolz gepriesen 
und als Klosterhort dem fremden, 
schrifterfahrnen Mann gewiesen. 
32. Solch ein kostbar Gut zu sichern 
treu dem künftigen Geschlechte, 
schrieben sie, die braven Mönche, 
Sommertag' und Winternächte. 
33. Rot und blau und grün und golden 
schimmerten die Rnfangslettern, 
reich umrankt von Blumendolden 
und von traumhaft bunten Blättern. 
34. Rührend bat der fromme Schrei- 
an des Werkes langem Ende, fber 
daß man seiner armen Seele 
des Gebets Almosen spende.
	        
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