Full text: Für Klasse 3 (achtes Schuljahr) und die Untertertia der Studienanstalten (Teil 7, [Schülerband])

hat sich eine ganze Blumensprache erdacht. Da sind Vergißnichtmein, 
Habmichlieb, Herzenstrost, Jelängerjelieber, Maßlieb; die Ungeduld 
verwünscht das Kraut Wegwarten, und die Zurückweisung hat ihr Kraut 
Schabab. Und welch eine Tiefe des Gemüts spricht sich in der reichen 
Fülle der Liebeslieder aus! Durchsichtig bis auf den Grund, lassen 
sie überall eine Handlung erkennen, ein Erlebnis, oder sie erzählen 
wohl auch geradezu eine Geschichte, die ergreift und rührt. — Weh¬ 
mütig klingt es von Scheiden und Meiden, die Fremde ist weit und 
die Zeit lang. „Der Stunden der sind also viel, mein Herz trägt 
heimlichs Leid, wiewohl ich oft fröhlich bin." Das Leben verlangt 
seine Rechte, seine Arbeit, seine Pflichten, ja oft ein heitres Gesicht, 
„man sieht so manch fröhlich Gebärd' wohl aus betrübtem Herzen", 
auch will der gesunde Sinn nicht entsagen, sondern mitleben. Jugend 
hastet an ihrem Genuß und bleibt doch treu und ehrlich. Der eine 
wagt es nur schüchtern und befangen, der Jungfrau sein Herz zu öffnen: 
„Ich kam zu ihr getreten, wie manch Gesell mehr tut, ich wollt sie han 
gebeten, ich bot ihr meinen Gruß; ich ward zu einem Stummen, vor 
Scham da stund ich rot, bei allen meinen Tagen leid ich nicht größre 
Not!" — Ein andrer singt, obgleich in der Fremde, sein jubelndes 
Glücksgefühl: „Ich hab' einen Ring an meiner Hand, den gäb ich 
nicht ums deutsche Land, er kommt von ihren Händen!" Und das 
Mädchen daheim singt, obwohl betrübt, doch getrost: „Er zog mit meinem 
Willen nicht hin, doch war sein Herz mein eigen, viel Gut's ich mich 
zu ihm versah, treu Dienst will ich ihm erzeigen. Noch ist der Knab 
so wohl gemut, für ihn nähm ich nicht Kaisers Gut! Vergiß mein 
nicht in Treuen!" Und dann kommt nach Jahren das Wiedersehen 
bei der Linde im Tal, wo beide einst schieden. Das Mädchen erkennt 
in dem von der Sonne gebräunten, im Ernst der Erfahrung männ¬ 
licher gereiften Gesellen den Geliebten nicht wieder. Er prüft ihre Treue, 
findet sie standhaft, und das alte Glück kehrt doppelt zurück. 
Aber auch von Falschheit und Untreue, der die Welt voll ist, weiß 
das Lied zu singen. Da wird Abschied genommen, um leichtfertig zu 
vergessen, und mancher muß sich freiwillig von der Liebsten auf immer 
scheiden. „Hatte mir zu Freuden ausgesät, ein andrer hat mir's ab¬ 
gemäht." Worauf er baute, war eitel Wahn, „ein kleiner Wind, der 
mir's hinweht, ein Wettergießen führt alles dahin, schafft, daß ich 
so traurig bin". — Unendlich rührend ergeht sich oft die Klage des 
Getäuschten, oder des betrogenen Mädchens, dessen Herz bei dem Un-
	        
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