II. Erlasse und Reden.
57. König Friedrich Wilhelm !!!, an sein Volk.
An mein Volk!
So wenig für mein treues Volk als für Deutsche bedarf es einer
Rechenschaft über die Ursachen des Krieges, welcher jetzt beginnt. Klar
liegen sie dem unverblendeten Europa vor Augen. Wir erlagen unter
der Übermacht Frankreichs. Der Friede, der die Hälfte meiner Unter- 5
tanen mir entriß, gab uns seine Segnungen nicht; denn er schlug
uns tiefere Wunden als selbst der Krieg. Das Mark des Landes
ward ausgesogen. Die Hauptfestungen blieben vom Feinde besetzt;
der Ackerbau war gelähmt sowie der sonst so hoch gebrachte Kunstfleiß
unserer Städte. Die Freiheit des Handels war gehemmt und dadurch 10
die Quelle des Erwerbes und Wohlstandes verstopft. Das Land
war ein Raub der Verarmung.
Durch die strengste Erfüllung eingegangener Verbindlichkeiten
hoffte ich, meinem Volke Erleichterung zu bereiten und den fran¬
zösischen Kaiser endlich zu überzeugen, daß es sein eigener Vorteil 1-
sei, Preußen seine Unabhängigkeit zu lassen. Aber meine reinsten
Absichten wurden durch Übermut und Treulosigkeit vereitelt, und
nur zu deutlich sahen wir, daß des Kaisers Verträge mehr noch wie
seine Kriege uns langsam verderben mußten. Jetzt ist der Augen¬
blick gekommen, wo alle Täuschung über unseren Zustand schwindet. 20
Brandenburger, Preußen, Schlesier, Litauer! Ihr wißt, was
ihr seit sieben Jahren erduldet habt; ihr wißt, was euer trauriges
Los ist, wenn wir den beginnenden Kampf nicht ehrenvoll enden.
Erinnert euch an die Vorzeit, an den Großen Kurfürsten, den großen
Friedrich! Bleibet eingedenk der Güter, die unter ihnen unsere Vor- 25
fahren blutig erkämpften: Gewissensfreiheit, Ehre, Unabhängigkeit,
Handel, Kunstfleiß und Wissenschaft! Gedenkt des großen Beispiels
unserer mächtigen Verbündeten; gedenkt der Spanier und Portugiesen!
Selbst kleine Völker sind für gleiche Güter gegen mächtigere Feinde
in den Kampf gezogen und haben den Sieg errungen; erinnert euch 30
an die heldenmütigen Schweizer und Niederländer.
Große Opfer werden von allen Ständen gefordert werden; denn
unser Beginnen ist groß und nicht gering die Zahl und die Mittel
unserer Feinde. Ihr werdet jene lieber bringen für das Vaterland,