die mündliche Sprachform ganz und gar noch von den mannigfaltigen
Spielarten der einzelnen Landschaften beherrscht war, die heute doch
sehr merklich zurücktreten. Sind nun schon durch diesen Umschwung der
neueren Sprachentwicklung die Vorrechte, die die Schriftform aus die
Gemeinsprache besaß, erschüttert, so erscheint der Name „Schriftsprache"
noch aus dem anderen Grunde unglücklich gewählt, weil er uns auch in
bezug auf die ältere Zeit irre führt. Bei „Schrift" denken wir doch
immer mehr an die Schreibetätigkeit; die Wurzeln unserer Schriftsprache
liegen aber ganz und gar in der Druckschrift; unsere Gemeinsprache ist
eine Drucksprache, ein Erzeugnis des Buchdrucks.
Ansätze zu einer Gemeinsprache hat es zwar immer gegeben. Wo nur
ein Sprachkreis sich verengte und zersplitterte, da gab es auch umgekehrt
Bewegungen, die den einen Kreis mit dem anderen wieder zu verbinden
suchten. In jeder Gruppe, die sich eng zusammenschloß, gab es hervor¬
ragende Glieder, die mit den Häuptern der anderen Gruppen in Ver¬
bindung traten. Und als Unterströmung können wir überall die unruhigen
Köpfe beobachten, denen es in der engen Heimat zu enge wurde, und die
durch keine Entbehrung, durch keine Demütigung des heimatlosen „Elends"
vom Zug in die Ferne abzuhalten waren. — Wir sehen, wie aus beiden
Strömungen in der mittelhochdeutschen Zeit sich Gemeinsprachen der
mündlichen Form vorbereiten, die sich in der höfischen Dichtung, in
Liedern und Sprüchen der fahrenden Leute erhalten haben. Im 14.
und 15. Jahrhundert wendet sich auch die Sprache wie das Leben mehr
dem Geschäftsverkehr zu. Mit den größeren Aufgaben wachsen die Ver¬
kehrskreise, die mündliche Form wird durch die schriftliche erseht, durch
die Sprache der Kanzlei. Hier, für das 15. Jahrhundert, können wir
von Schriftsprache reden, aber nicht von einer Schriftsprache für das
ganze deutsche Land, sondern von einer Schriftsprache für jede einzelne
Landschaft. Augsburger, Ulmer, Straßburger, Nürnberger, Kölner
Schriftsprache, Kaiserliche, Kurfürstliche, Fürstliche Kanzleisprachen, das
sind die Einigungspunkte innerhalb der ganz unglaublichen Mannig¬
faltigkeit.
Das 16., 17. und der Anfang des 18. Jahrhunderts erst haben aus
diesen Gemeinsprachen der einzelnen Landschaften unsere neuhochdeutsche
Schriftsprache geschaffen. Es ist falsch, wenn man immer wieder versucht,
diesen letzten Entwicklungsgang in einer geraden Linie aufzufassen und zu
erklären. Nicht die Kaiserliche, nicht eine Fürstliche Kanzlei, nicht die
eine oder die andere Landschaft hat unserer Schriftsprache eigentlich ihre