Full text: (Prosa) (Teil 7 - 9 in 1 Bande, [Schülerband])

die mündliche Sprachform ganz und gar noch von den mannigfaltigen 
Spielarten der einzelnen Landschaften beherrscht war, die heute doch 
sehr merklich zurücktreten. Sind nun schon durch diesen Umschwung der 
neueren Sprachentwicklung die Vorrechte, die die Schriftform aus die 
Gemeinsprache besaß, erschüttert, so erscheint der Name „Schriftsprache" 
noch aus dem anderen Grunde unglücklich gewählt, weil er uns auch in 
bezug auf die ältere Zeit irre führt. Bei „Schrift" denken wir doch 
immer mehr an die Schreibetätigkeit; die Wurzeln unserer Schriftsprache 
liegen aber ganz und gar in der Druckschrift; unsere Gemeinsprache ist 
eine Drucksprache, ein Erzeugnis des Buchdrucks. 
Ansätze zu einer Gemeinsprache hat es zwar immer gegeben. Wo nur 
ein Sprachkreis sich verengte und zersplitterte, da gab es auch umgekehrt 
Bewegungen, die den einen Kreis mit dem anderen wieder zu verbinden 
suchten. In jeder Gruppe, die sich eng zusammenschloß, gab es hervor¬ 
ragende Glieder, die mit den Häuptern der anderen Gruppen in Ver¬ 
bindung traten. Und als Unterströmung können wir überall die unruhigen 
Köpfe beobachten, denen es in der engen Heimat zu enge wurde, und die 
durch keine Entbehrung, durch keine Demütigung des heimatlosen „Elends" 
vom Zug in die Ferne abzuhalten waren. — Wir sehen, wie aus beiden 
Strömungen in der mittelhochdeutschen Zeit sich Gemeinsprachen der 
mündlichen Form vorbereiten, die sich in der höfischen Dichtung, in 
Liedern und Sprüchen der fahrenden Leute erhalten haben. Im 14. 
und 15. Jahrhundert wendet sich auch die Sprache wie das Leben mehr 
dem Geschäftsverkehr zu. Mit den größeren Aufgaben wachsen die Ver¬ 
kehrskreise, die mündliche Form wird durch die schriftliche erseht, durch 
die Sprache der Kanzlei. Hier, für das 15. Jahrhundert, können wir 
von Schriftsprache reden, aber nicht von einer Schriftsprache für das 
ganze deutsche Land, sondern von einer Schriftsprache für jede einzelne 
Landschaft. Augsburger, Ulmer, Straßburger, Nürnberger, Kölner 
Schriftsprache, Kaiserliche, Kurfürstliche, Fürstliche Kanzleisprachen, das 
sind die Einigungspunkte innerhalb der ganz unglaublichen Mannig¬ 
faltigkeit. 
Das 16., 17. und der Anfang des 18. Jahrhunderts erst haben aus 
diesen Gemeinsprachen der einzelnen Landschaften unsere neuhochdeutsche 
Schriftsprache geschaffen. Es ist falsch, wenn man immer wieder versucht, 
diesen letzten Entwicklungsgang in einer geraden Linie aufzufassen und zu 
erklären. Nicht die Kaiserliche, nicht eine Fürstliche Kanzlei, nicht die 
eine oder die andere Landschaft hat unserer Schriftsprache eigentlich ihre
	        
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