W. Wägner, Bürgerliches Leben in Rom.
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Volk der Quiriten, welches sich an dem Fuße der Freitreppen in dichten
Haufen drängte, das Heiligtum der kapitolinischen Gottheiten herab.
Beschirmend Stadt und Reich, wohnten in den drei Zellen des Tempels
der allwaltende Jupiter, die Himmelskönigin Juno und die sinnende
Minerva, voll Weisheit und Gnade, wie ihre Bildsäulen anzeigten.
Rüstungen, Standbilder, Weihegeschenke von mancherlei Art waren vor
und neben dem Gotteshause aufgestellt; auf dem einen Giebel stand
noch das uralte thönerne Viergespann mit der Statue des höchsten
Gottes, auf dem anderen ein ehernes.
Unter den Gebäuden am Forum war das älteste die Basilica,
welche von Marcus Porcius Cato im Jahre 184 während seiner Censur
erbaut worden war, nicht weit vom uralten Janustempel. Ferner be—
grenzte außer anderen hervorragenden Gebäuden die Curie die Nord—
seite des Platzes. Gegenüber, auf der Südseite, sah man die Amts—
wohnung des Oberpriesters, den Tempel der Vesta, der die kreisförmige
Kapelle mit dem heiligen Feuer umschloß, und andere Prachtgebäude,
vor welchen noch die alten Kaufläden und Silberhallen in früherem
Zustande, aber reich dekoriert, aufgestellt waren.
Die Männer, von denen oben die Rede war, erklärten dem Gaste
die Bauwerke und Merkwürdigkeiten, die sich hier, im Mittelpunkte des
römischen Wesens, aneinander reihten. Auf und ab wogte um sie her
das Volksgewühl; da gab es Handwerker, Geschäftsleute, Käufer und
Verkäufer, freie Bürger und Sklaven, stolze Ritter und edle Matronen,
die mit rosafarbenem Überwurfe, goldenem Gürtel und langer Purpur—
schleppe teils zu Fuß einherschritten, von Sklavinnen begleitet, teils auf
zweirädrigen, reich verzierten Wagen saßen.
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Gallus trennte sich hier von seinen Begleitern, die noch vor der
Mahlzeit einige Geschäfte zu verrichten oder ein Bad zu nehmen ge—
dachten. Er ging über das Comitium zurück, vorbei am Tribunal des
Stadtprätors, und bald befand er sich vor dem von mächtigen Säulen
umgebenen Tempel des Jupiter Stator. Der Anblick diefes gewaltigen
Baues rief in ihm die Vorstellung des Zeustempels in Olympia wach,
und indem er beide Bauten in Gedanken miteinander verglich, sprach
er bei sich: „Groß wie Rom ist dieses Heiligtum, wenn auch minder
schön als die griechische Kunst.“
Von diesem ehrwürdigen Bau wendete er sich nun nach dem pala—
tinischen Hügel, wo schon damals die vornehme römische Welt in prunk—
vollen Palästen wohnte. Vor einem solchen Hause blieb er stehen; es
war das des Fabius Labeo. Alsbald trat der Thürhüter heraus und
rief Gallus freundlich das Wort entgegen, das auf der ersten Stufe in