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Elisabeth Goethe.
Elisabeth Goethe (17311808).
16. Briefe an ihren Sohn und die Seinen.
J. An Goethe in Rom.
Frankfurt, den 17. November 1786.
Lieber Sohn. Eine Erscheinung aus der Unterwelt hätte
mich nicht mehr in Verwunderung setzen können, als Dein Brief
aus Rom. Jubilieren hätte ich vor Freude mögen, daß der
Wunsch, der von frühester Jugend an in Deiner Seele lag, nun
in Erfüllung gegangen ist. Einen Menschen, wie Du bist, mit
Deinen Kenntnissen, mit Deinem großen Blick vor alles, was
gut, groß und schön ist, der so ein Adlerauge hat, muß so
eine Reise auf sein ganzes übriges Leben vergnügt und glück—
lich machen, und nicht allein Dich, sondern alle, die das Glück
haben, in Deinem Wirkungskreis zu leben. Ewig werden mir
die Worte der seligen Klettenbergern im Gedächtnis bleiben:
„Wenn dein Wolfgang nach Mainz reiset, bringt er mehr Kennt—
nisse mit als andere, die von Paris oder London zurückkommen.“
Aber sehen hätte ich Dich mögen beim ersten Anblick der Peters—
kirche. Doch Du versprichsts ja, mich in der Rückreise zu be⸗
suchen, das mußt Du mir alles haarklein erzählen. Vor unge⸗
fähr vier Wochen schrieb Fritz von Stein, er wäre Deinet—
wegen in großer Verlegenheit, kein Mensch, selbst der Herzog
nicht, wüßten, wo Du wärest, jedermann glaubte Dich in
Böhmen u. s. w. Dein mir so sehr lieber und interessanter
Brief vom 4. November kam Mittwochs den 15. dito Abends
um 6 Uhr bei mir an. — Denen Bethmännern habe ich ihren
Brief auf so eine drollige Weise in die Hände gespielt, daß sie
gewiß auf mich nicht raten.
Von meinem innern und äußern Befinden folgt hier ein
genauer und treuer Abdruck: Mein Leben fließt still dahin wie
ein klarer Bach. Unruhe und Getümmelt war von jeher meine
Sache nicht, und ich danke der Vorsehung vor meine Tage.
Tausend würde so ein Leben zu eintönig vorkommen, mir nicht;