289
Sr. Majestät vor mir. Unter den obwaltenden Umständen nehme ich
an, daß es den wünschen der Mitglieder des Reichstages ebenso wie
denen der verbündeten Regierungen entsprechen wird, daß der Reichs¬
tag noch nicht auseinandergeht, sondern zusammen bleibt bis nach Ein¬
treffen Sr. Majestät des Raisers, und ich mache deshalb von dieser
Rllerhöchsten Ermächtigung weiter keinen Gebrauch, als daß ich die¬
selbe als historisches Dokument zu den Rkten gebe und den Herrn
Präsidenten bitte, die Entschlüsse, welche den Stimmungen und den
Überzeugungen des Reichstages entsprechen, in dieser Richtung herbei¬
zuführen.
Ls steht mir nicht zu, meine Herren, von dieser amtlichen Stelle
aus den persönlichen Gefühlen Rusdruck zu geben, mit welchen mich
das hinscheiden meines Herrn erfüllt, das Rusfcheiden des ersten
Deutschen Raisers aus unsrer Mitte. Ls ist dafür auch kein Bedürfnis,
denn die Gefühle, die mich bewegen, sie leben in dem Herzen eines
jeden Deutschen,- es hat deshalb keinen Zweck, sie auszusprechen. Uber
das glaube ich Ihnen doch nicht vorenthalten zu dürfen — nicht von
meinen Empfindungen, sondern von meinen Erlebnissen —: daß in¬
mitten der schweren Schickungen, welche der von uns geschiedene Herr
in Seinem Hause noch erlebt hat, es zwei Tatsachen waren, welche
Ihn mit Befriedigung und Trost erfüllten. Die eine war die, daß
die Seiden seines einzigen Sohnes und Nachfolgers, unsers jetzigen
regierenden Herrn, die ganze Welt — nicht nur Deutschland, sondern
alle Weltteile, kann man sagen — ich habe noch heute ein Telegramm
aus Neuyork in dieser Beziehung erhalten — mit einer Teilnahme
erfüllt haben, die beweist, welches vertrauen sich die Dynastie des
deutschen Kaiserhauses bei allen Nationen erworben hat. Ls ist dies
ein Erbteil, kann ich wohl sagen, welches des Raisers lange Regierung
dem deutschen Volke hinterläßt. Das vertrauen, das die Dynastie
erworben hat, wird sich auf die Nation übertragen trotz allem, was
dagegen versucht wird.
Die zweite Tatsache, in der Se. Majestät einen Trost in manchen
schweren Schickungen empfand, war die, daß der Raiser auf die Ent¬
wicklung seiner Hauptlebensaufgabe, der Herstellung und Ronsolidierung
der Nationalität des Volkes, dem er als deutscher Fürst angehört hatte,
— daß der Raiser auf die Entwicklung, welche die Lösung dieser Ruf¬
gabe inzwischen genommen hatte, mit einer Befriedigung zurückblickte,
welche den Rbend seines Lebens verschönt und beleuchtet hat. Es trug
dazu namentlich in den letzten Wochen die Tatsache bei, daß mit einer
seltenen Einstimmigkeit aller Dynastien, aller verbündeten Regierungen,
aller Stämme in Deutschland, aller Rbteilungen des Reichstages das¬
jenige beschlossen wurde, was für die Sicherstellung der Zukunft des
Deutschen Reiches auf jede Gefahr hin, die uns bedrohen könnte, als
Bedürfnis von den verbündeten Regierungen empfunden wurde. Diese
K.-J.. n 19