Wie kommt der Handwerker zu seinem Gelde?
405
„Auf Antrag des Schreinermeisters Wilhelm Streich hier-
selbst wird dem Althändler August Mohr hierselbst aufgegeben,
den ersteren wegen des Anspruches auf Zahlung von 5,60 Mark
nebst 4% Zinsen seit dem 6. Juni d. J. wegen der in anliegender
Rechnung ausgeführten Schreinerarbeiten sowie wegen der Kosten
des Verfahrens mit 1,10 Mark binnen einer vom Tage der Zu¬
stellung dieses Befehls laufenden Frist von einer Woche bei Ver¬
meidung sofortiger Zwangsvollstreckung zu befriedigen oder bei
dem unterzeichneten Gerichte Widerspruch zu erheben.
.... stadt, den 14. September 19 . .
Königliches Amtsgericht.
Ein Exemplar dieses Zahlungsbefehls erhielt Meister Streich
vom Amtsgericht mit der Aufforderung zugesandt, die Gerichts¬
kosten im Betrage von 1,10 Mark an die Gerichtskasse einzuzahlen.
Nicht drei Tage vergingen, so schickte ihm der Althändler die
Schuldsumme. Meister Streich quittierte darüber, wies aber darauf
hin, daß die Gerichtskosten noch zu erstatten wären, welche ihm
Mohr am folgenden Tage sandte. Auf Nachforderung der Verzugs¬
zinsen verzichtete Streich des geringfügigen Betrages wegen.
2. Durch diesen Erfolg ermutigt beschloß der Schreinermeister,
in derselben Weise gegen den zweiten säumigen Schuldner, den
Inspektor Vogt, vorzugehen, der ihm 50 Mark für einen Kleider¬
schrank schuldete. Jedoch war er sehr enttäuscht, als er nach
einigen Tagen anstatt des Geldes vom Gericht die Benachrichtigung
erhielt, daß Vogt gegen den erlassenen Zahlungsbefehl Widerspruch
erhoben habe, und daß es Streich nun freistände, ihn zur münd¬
lichen Verhandlung der Sache vor das Amtsgericht zu laden.
Am nächsten Abend erzählte Meister Streich auf dem Heim¬
weg von einer Handwerkerversammlung den Fall seinem Nachbar,
einem Tapezier. Dieser machte ein bedenkliches Gesicht und fragte:
„Wann hast du den Schrank geliefert?“ — ,,Vor etwa 10 Monaten.“
— „Nun, dann hat es noch keine Gefahr; mir ist es vor vier Jahren
mit dem Vogt schlimmer ergangen. Ich hatte damals für ihn zu
tapezieren, Vorhänge zu liefern u. dgl., und die Rechnung belief
sich auf etwa 100 Mark. Mit dem Einkassieren beeilte ich mich
absichtlich nicht, weil der Mann mir noch andere Aufträge in Aus¬
sicht stellte. Endlich, vor etwa vier Monaten, riß mir die Geduld,
und ich verklagte ihn. Wir hatten Termin vor dem Amtsrichter,
und als ich meine Sache vorgetragen habe, und der Amtsrichter
den Vogt fragt, was er zu erwidern hätte, erklärt er, sich auf die
Sache überhaupt nicht einlassen zu wollen; denn meine Forderung
sei verjährt! Ich traute meinen Ohren nicht; denn ich hielt es
nicht für möglich, daß ich auf solche Weise um meinen redlich ver¬
dienten Lohn kommen sollte. Auch dem Amtsrichter schien die
Sache nicht nach dem Sinn zu sein; wenigstens hielt er meinem
Gegner vor, er müßte sich doch erinnern, ob und welche Arbeiten
ich bei ihm ausgeführt hätte, und es würde doch nicht anständig
sein, einen Handwerker auf solche Weise um seinen Verdienst zu
bringen. Vogt blieb aber dabei, er könne sich auf nichts einlassen;