Full text: Prosa (Teil 8, [Schülerband])

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Er will also mit Gelassenheit und einer gewissen Kälte gesagt sein. 
Allein dieser allgemeine Satz ist zugleich das Resultat von Ein¬ 
drücken, welche individuelle Umstände auf die handelnden Personen 
machen; er ist kein bloßer symbolischer Schluß; er ist eine generali¬ 
sierte Empfindung, und als diese will er mit Feuer und einer gewissen 
Begeisterung gesprochen sein. 
Folglich mit Begeisterung und Gelassenheit, mit Feuer und 
Kälte? — 
Nicht anders; mit einer Mischung von beiden, in der aber, nach 
Beschaffenheit der Situation bald dieses, bald jenes hervorsticht. 
Ist die Situation ruhig, so muß sich die Seele durch die Moral 
gleichsam einen neuen Schwung geben wollen; sie muß über ihr Glück 
oder ihre Pflichten bloß darum allgemeine Betrachtungen zu machen 
scheinen, um durch diese Allgemeinheit selbst jenes desto lebhafter zu 
genießen, diese desto williger und mutiger zu beobachten. 
Ist die Situation hingegen heftig, so muß sich die Seele durch 
die Moral (unter welchem Worte ich jede allgemeine Betrachtung ver¬ 
stehe) gleichsam von ihrem Fluge zurückholen; sie muß ihren Leiden¬ 
schaften das Ansehen der Vernunft, stürmischen Ausbrüchen den Schein 
vorbedächtlicher Entschließungen geben zu wollen scheinen. 
Jenes erfordert einen erhabenen und begeisterten Ton; dieses 
einen gemäßigten und feierlichen. Denn dort muß das Raisonnement 
in Affekt entbrennen, und hier der Affekt in Raisonnement sich aus¬ 
kühlen. 
Die meisten Schauspieler kehren es gerade um. Sie poltern 
in heftigen Situationen die allgemeinen Betrachtungen ebenso stürmisch 
heraus, als das übrige; und in ruhigen beten sie dieselben eben so 
gelassen her, als das übrige. Daher geschieht es denn aber auch, 
daß sich die Moral weder in den einen, noch in den andern bei ihnen 
ausnimmt; und daß wir sie in jenen eben so unnatürlich, als in 
diesen langweilig und kalt finden. Sie überlegten nie, daß die Stickerei 
von dem Grunde abstechen muß, und Gold auf Gold brodieren ein 
elender Geschmack ist. 
Durch ihre Gestus verderben sie vollends alles. Sie wissen 
weder, wenn sie deren dabei machen sollen, noch was für welche. Sie 
machen gemeiniglich zu viele und zu unbedeutende. 
Wenn in einer heftigen Situation die Seele sich auf einmal zu 
sammeln scheinet, um einen überlegenden Blick auf sich oder auf das, 
was sie umgiebt, zu werfen, so ist es natürlich, daß sie allen Be¬ 
wegungen des Körpers, die von ihrem bloßen Willen abhängen, ge¬ 
bieten wird. Nicht die Stimme allein wird gelassener; die Glieder 
alle geraten in einen Stand der Ruhe, um die innere Ruhe auszu¬ 
drücken, ohne die das Auge der Vernunft nicht wohl um sich schauen 
kann. Mit eins tritt der fortschreitende Fuß fest auf, die Arme sinken, 
der ganze Körper zieht sich in den wagrechten Stand; eine Pause —
	        
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