Full text: Prosa (Teil 8, [Schülerband])

„Marie — soll — meine Uhr —." Er lehnte sich in meinen linken 
Arm zurück. Seine Hände umfaßten meine Rechte. Sein letzter Hauch: 
„Mutter, Mutter — daß du bei mir bist." Noch lag er wohl zehn 
Minuten in meinem Arme. Ich rührte mich nicht. Und dann war 
er hinüber ... 
Als ich weiter wollte, fand ich dicht neben ihm einen Offizier von 
demselben Bataillon. Er lag platt auf dem Gesicht, die Arme aus¬ 
breitend. Die linke Hand hatte sich in Moos eingekrampft, die rechte 
umklammerte eisern den Säbelgriff. Neben seinem Kopfe saß der kleine, 
schwarze Pintscher und leckte ihm das linke Ohr. Er hatte seinen Herrn 
gefunden. Als ich mich näherte, fiel mir das Hündchen beißend in die 
Stiefelabsätze. Aber ich mußte wissen, ob nicht noch Hilfe retten könnte, 
und drehte deshalb, ohne mich an das Köterchen und seine Angriffe 
zu kehren, den Körper um. Ein unendlich jugendliches Gesicht, schon 
erkaltet, zeigte sich mir. Zwischen den gebrochnen Augen erblickte ich 
einen kleinen Streifen der dunkelbraunen Pupille. 
Der Morgen war angebrochen, und eine Schwarzdrossel flötete 
unbekümmert ihre treuherzige Melodie. Auf meinen Platz zurückgekehrt, 
fand ich hier alles schon in reger Bewegung. Alle gönnten sich bei 
der reichlichen Wasserfülle das Labsal einer Waschung. Bald war alles 
ans der Suche nach seinem Truppenteil. Schon nach einer Stunde 
hatte ich mein Regiment gesunden. Die Fahne hochschwingend, die ich 
an einem Erlenaste befestigt hatte für den zerschoßnen Schaft, trafen 
wir uns. Dann zogen wir weiter, hitzig dem Feinde nach. 
Detlev Freiherr von Lilicncron. 
95. | Das Geheimnis der Mischung. 
ährend draußen vor den Fenstern die Menschen in schwarzem 
Gedränge sich vorüberschoben, als wäre die ganze Stadt in 
Bewegung und Aufruhr, lagerte die Stimmung schläfriger Langweile 
innerhalb der grell erleuchteten Mauern eines geräumigen Kaffeehauses. 
Nur zwei von den wenigen Güsten schienen diese Stimmung nicht zu 
teilen. Sie saßen in einer Ecke des weiten Saales an einem kleinen 
Tisch. Der eine von ihnen, der in seinem Äußern den vermögenden 
Mann verriet, trug schon das Grau des Alters über der hohen Stirn. 
Ruhiger Ernst war der Ausdruck seines glattrasierten Gesichtes, und 
seine stahlgrauen Augen hafteten mit gespannt forschenden Blicken 
auf den heftig erregten, wie in Fieberröte brennenden Zügen seines 
Gegenübers. Das war ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.