„Marie — soll — meine Uhr —." Er lehnte sich in meinen linken
Arm zurück. Seine Hände umfaßten meine Rechte. Sein letzter Hauch:
„Mutter, Mutter — daß du bei mir bist." Noch lag er wohl zehn
Minuten in meinem Arme. Ich rührte mich nicht. Und dann war
er hinüber ...
Als ich weiter wollte, fand ich dicht neben ihm einen Offizier von
demselben Bataillon. Er lag platt auf dem Gesicht, die Arme aus¬
breitend. Die linke Hand hatte sich in Moos eingekrampft, die rechte
umklammerte eisern den Säbelgriff. Neben seinem Kopfe saß der kleine,
schwarze Pintscher und leckte ihm das linke Ohr. Er hatte seinen Herrn
gefunden. Als ich mich näherte, fiel mir das Hündchen beißend in die
Stiefelabsätze. Aber ich mußte wissen, ob nicht noch Hilfe retten könnte,
und drehte deshalb, ohne mich an das Köterchen und seine Angriffe
zu kehren, den Körper um. Ein unendlich jugendliches Gesicht, schon
erkaltet, zeigte sich mir. Zwischen den gebrochnen Augen erblickte ich
einen kleinen Streifen der dunkelbraunen Pupille.
Der Morgen war angebrochen, und eine Schwarzdrossel flötete
unbekümmert ihre treuherzige Melodie. Auf meinen Platz zurückgekehrt,
fand ich hier alles schon in reger Bewegung. Alle gönnten sich bei
der reichlichen Wasserfülle das Labsal einer Waschung. Bald war alles
ans der Suche nach seinem Truppenteil. Schon nach einer Stunde
hatte ich mein Regiment gesunden. Die Fahne hochschwingend, die ich
an einem Erlenaste befestigt hatte für den zerschoßnen Schaft, trafen
wir uns. Dann zogen wir weiter, hitzig dem Feinde nach.
Detlev Freiherr von Lilicncron.
95. | Das Geheimnis der Mischung.
ährend draußen vor den Fenstern die Menschen in schwarzem
Gedränge sich vorüberschoben, als wäre die ganze Stadt in
Bewegung und Aufruhr, lagerte die Stimmung schläfriger Langweile
innerhalb der grell erleuchteten Mauern eines geräumigen Kaffeehauses.
Nur zwei von den wenigen Güsten schienen diese Stimmung nicht zu
teilen. Sie saßen in einer Ecke des weiten Saales an einem kleinen
Tisch. Der eine von ihnen, der in seinem Äußern den vermögenden
Mann verriet, trug schon das Grau des Alters über der hohen Stirn.
Ruhiger Ernst war der Ausdruck seines glattrasierten Gesichtes, und
seine stahlgrauen Augen hafteten mit gespannt forschenden Blicken
auf den heftig erregten, wie in Fieberröte brennenden Zügen seines
Gegenübers. Das war ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren,