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Während die Puppen spielen, geschieht es bisweilen, daß es einem
Jungen im Parterre einfällt mitzuspielen. Ich sah eines Abends, da
man die Geschichte des bösen Ganelon gab, einen Buben diesem schänd¬
lichen Verräter ein Stück Holz an den Kopf werfen. Den höchsten Jubel
rief es hervor, als der rasende Roland sich mit einer so beispiellosen Wut
schüttelte, daß Panzer, Helm und Beinschienen Stück für Stück abfielen
und der Ritter nur noch im Hemde dastand. Hierauf schlug er mit dem
an der Hand befestigten Degen ein Hirtenhaus, zwei Bäume und einen
Felsen nieder, denen später zehn Hirten und ungezählte Mohren folgten.
Endlich war ein greuelvoller Leichenhaufe aufgeschichtet, vor den sich der
Paladin triumphierend hinstellte.
Die schöne Geschichte von der Entdeckung Amerikas durch Christoforo
Colombo i. I. 1399 (so belehrt uns der angeschlagene Zettel) wird bereits
seit vierzehn Tagen unausgesetzt dreimal am Abend gespielt. Der
abscheuliche Verräter in dem Stücke ist Roldan, neben Colombo die einzige
geschichtliche Person, die vorkommt. Roldan ist zu den Indianern über¬
gegangen, man sieht ihn sogar auf einem Throne sitzen, über und über
mit Federn ausstaffiert, so daß er einem Paradiesvogel ähnlich ist. Auch
die Indianer sind mit prächtigen Federn geschmückt und erscheinen in der
Schlacht mit Schießgewehren. Der Pulcinella ist Colombos Schildknappe.
Ein Engel erscheint ihm und gibt ihm einen Ring, mit welchem er
Roldan und die Indianer verzaubert. Die gefiederten Indianer fahren
beim Anblick des Ringes in die Lüfte, aber Roldan bleibt regungslos an
den Boden geheftet stehen; hierauf erscheinen zwei greuliche Geister, welche
ihn auf Befehl Pulcinellas grausam durchprügeln. Dieser Akt der
Gerechtigkeit erregte ein unglaubliches Jauchzen unter dem Parterre, welches
vor moralischem Wohlbehagen schrillte wie ein Schwarm Mauerschwalben;
einige Jungen warfen dem verräterischen Roldan Papiertüten an den
Kopf. Im Zwischenakt nimmt natürlich der Lärm noch zu. Man glaubt
in der Arche Noah zu sein und alle Tiergeschlechter schreien zu hören. Es
ist das nächtliche Tierleben im Urwald, wie es Humboldt beschreibt, und
das Gezeter von dreihundert Jungen begleitet mit einer wahrhaft göttlichen
Ruhe ein pstichtschuldiger Hornbläser.
Der Grasso Lucido.
Eine Volksgruppe steht in irgendeiner Straße, eine deklamierende
Stimme erschallt aus ihrem Kreise. Wir eilen herbei: wovon ist die Rede?
Vom Grasso Lucido. Ein ganz frischer, blutroter Maueranschlag dort an
der Ecke — wir eilen, ihn zu lesen, denn was mag es sein? Der Grasso
Lucido. Wir sitzen im Cafe, ein Zettelträger verteilt Zettel — um was
handelt es sich? Um den Grasso Lucido. Dieser Grasso Lucido hat also
auch ein unbestrittenes Recht, die Augen aller Welt auf sich zu ziehen, ja,
er ist nichts Geringeres, als die im Jahre 1850 nach Christi Geburt mit