Full text: [Siebenter Teil = 3. Klasse, [Schülerband]] (Siebenter Teil = 3. Klasse, [Schülerband])

215 
scheue, wilde Felsentaube hat der Mensch aus ihrer natürlichen Höhle 
herausgeholt und als Haustier an sich gewöhnt, die Katze sogar ist bedingt 
Zahm geworden: der Sperling in der gleichen Zeit nicht. Aber sein Lernen, 
sein eigenes unbeeinflußtes Lernen ist darum doch Hand in Hand gegangen 
mit der ansteigenden Kultur. 
Er hat ein großes Sündenregister auf sich, der gute Spatz, — wer 
will es leugnen? Er ist keineswegs so nützlich als Maikäferjäger und 
sonst als Ungeziefertilger, wie es eine Zeitlang seinen Gönnern unter den 
Vogelkundigen schien. In Nordamerika, wo man ihn ob dieses auf Treu 
und Glauben genommenen Nutzens künstlich aus Europa eingeführt hat, 
ist er zum Lohne aller Liebe zur wahren Landplage geworden. Dort wie 
bei uns nimmt er viel besseren Vögeln die ohnehin heute so knappen Nist¬ 
gelegenheiten fort. Er verscheucht uns den lieben Rotschwanz, seit alter 
Germanenzeit ein segenbringendes Hausgeistchen des Menschenheims. Selbst 
den Star bedrängt er durch seine Masse. 
Aber wer ihn vom Maßstab der Intelligenz aus nimmt, der muß ihn 
bewundern, muß ihn schließlich lieben in seiner Eigenart. Alle Höhe kleiner 
Vogelklugheit steckt in ihm. Selbst jener Schönheitssinn, den wir gemeiniglich 
nur in fernen Landen, beim Paradiesvogel Neuguineas und beim Lauben¬ 
vogel des australischen Busches suchen, ist ihm nicht fremd. Kleinschmidt, 
also ein unanfechtbarer Kenner, hat beobachtet, wie er einen Nistkasten, 
den er besetzt, mit einem Stengel blauer Hyazinthen geschmückt hatte. 
Sein Triumph aber ist die Großstadt. Er bildet in ihr den Gipfel 
der Eroberung gerade des lichtesten, öffentlichen Gebiets, der hellichten 
Straße im Gegensatz zur Höhle. 
Man muß das Bild nebeneinander sehen: eines wackeren Provinzlers 
unter uns Kulturmenschen selbst, der zum erstenmal etwa in die Wogen 
des Berliner Alexanderplatzes sich geworfen fühlt, eingekeilt zwischen die 
donnernden Kolosse der elektrischen Wagen, mit jedem ängstlichen Schritt 
tastend auf ein neues, gefahrdrohendes Geleise, betäubt vom Lärm, ver¬ 
zweifelt, hilflos — und dazu eines waschechten Großstadtsperlings, der 
gemächlich wie ein uralt erfahrener und gewandter Weltfahrer in diesem 
wirbelnden Ozean der hastenden Kultur beiseite — nicht fliegt, sondern 
trippelt, wenn das Gebirge eines solchen Straßenbahnwagens sich gegen 
ihn heranwälzt. Nur ein, zwei Menschenschritte weit trippelt er fort, 
keinen Zoll mehr, als unumgänglich nötig ist, nicht die Spur nervös — 
wie kann man denn bloß, es ist ja immer dasselbe, und je größer der 
rollende Berg, desto sicherer, daß er auf seinen Schienen vorbeischmettert, 
ohne von mir besonders Notiz zu nehmen. — Dabei läßt der ausgepichte 
Großstadtspatz mitten im Getümmel und Ausweichen auch nicht eine 
Sekunde ab von seinem Keifen, wenn er gerade recht dabei ist — er 
wechselt ein dutzendmal in wenigen Augenblicken das Geleise, um Platz 
zu machen, schwätzt und schwadroniert aber unentwegt dabei weiter.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.