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geeigneten Zeiten als Wildbach tobt. Das Wasser stürzt hinweg; der
Boden dorrt aus in der warmen Zeit, und das lebendige Grün ver¬
schwindet. Es bleiben noch die Salpetermonaden, die den Felsen heimlich
zernagen, den das Wasser als Sand und Kies zu Tal befördert.
Ein einzelner Baum mag gefällt werden, man vermißt ihn nicht und
darf ihn auch nicht verantwortlich machen; aber die Massenabholzungen,
die bringen Schaden. Innerhalb von zehn Jahren hat das einzige Depar¬
tement Basses Alpes 25 000 ha Kulturland verloren, und im Departement
Ardèche sind gleichfalls infolge sinnloser Baumfällung 28000 ha guten
Bodens mit Sand und Kies überschwemmt worden. Wir brauchen uns jedoch
weder nach Frankreich noch nach Spanien, dem Orient oder Nordamerika
zu bemühen, um die bedauerlichen Folgen des Massenforstfrevels zu ge¬
wahren: schon in Tirol und der Schweiz ist der Zusammenhang zwischen
schweren Wasserheimsuchungen und der Abholzung deutlich Zutage getreten.
Man gibt den Italienern, Spaniern, Griechen, Syriern den guten
Rat, die waldentblößten Berge wieder aufzuforsten und durch den neuen
Wald die Gewässer zu halten und zu zähmen. Die Idee ist ausgezeichnet,
aber weder dem Volke noch den Ziegen begreiflich zu machen. Das Volk
treibt seine Ziegen ins Gebirge, damit das Tier, das die Familie ernähren
hilft, seine kärgliche Nahrung finde, und die Ziege frißt alles, was sie
vorfindet, mit Vorliebe jedoch schmackhafte junge Anpflanzungen. Und
wenn die Schonungen auch eingefriedigt wären, welches Land hat genug
Gendarmen, jeden Pferch, jeden Hirten, jedes Zicklein zu bewachen? Und
welche Staatskasse wäre so voller Gold, daß sie die Einfriedigungen
junger Anpflanzungen bestreiten könnte, wie sie etwa die Sierra Nevada
erforderte oder der Libanon? Darum bleibt die Aufforstung sorglos ent¬
waldeter Berge in den Ländern, die ihrer am meisten bedürfen, vorläufig
ein unerfüllbarer Wunsch.
Auch bei uns geht in den Wildwassern viel verloren. Sie zerstören
und können doch bauen, wenn sie gemeistert werden. Gestautes Wasser
ist gesammelte Kraft, und da wir jetzund der Kraft die Form geben, die
uns beliebt, und sie leicht verteilen können, indem wir sie in Elektrizität
verwandeln, so wird das Ansammeln des Wassers zur nationalökonomischen
Pflicht. Man macht aus Tälern, aus den Becken, die das Wasser sich
selber wühlte, durch das Vorschlagen eines Dammes große Sammelteiche,
deren Vorrat, durch Turbinen geleitet, seine Gewalt fein säuberlich in
Elektrizität umsetzt, die weitergeleitet, noch williger arbeitet als die Dampf¬
kraft und viel mehr Kunststücke zu machen versteht als diese.
Einst wird kommen der Tag, an dem die Kohlenvorräte unserer
Gegenden aufgeschürft sind, und dann bleibt nur der Anschluß an die
Sonne: sei es durch Vermittlung des Windes oder des Wassers. Was
beide an Kraft zu entwickeln vermögen, das haben sie von der Sonne,
die das Wasser hebt und die Luftströmungen hervorruft.