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in dieser Gegend eines beständigen Frühlings. Im Sommer ver¬
breiten die Seewinde am Abend eine sanfte Kühlung. Die Bevöl¬
kerung dieser Küste ist sehr bedeutend, und scheint es noch mehr zu
sein, weil die Häuser und Gärten von einander entfernt sind, wo-
5. durch die Schönheit der Gegend noch vermehrt wird. Unglücklicher
Weise entspricht der Wohlstand der Einwohner weder den Anstren¬
gungen ihres Fleißes, noch den Vortheilen, womit die Natur diese
Gegend überhäuft zu haben scheint. Diejenigen, welche das Feld
bebauen, sind im Allgemeinen nicht die Eigenthümer: die Frucht
10. ihrer Arbeit gehört dem Adel, und die nämlichen Fendalrechte, welche
so lange das Elend über ganz Europa verbreiteten, hindern noch
das Glück des Volkes auf den canarischen Inseln.
Von Tegueste und Tacoronte bis in das Dorf San Inan de
la Nambla, durch seinen vortrefflichen Malvasier berühmt, ist die
15. Küste wie ein Garten bebaut. Ich würde sie mit den Gegenden
von Capua oder von Valencia vergleichen, wenn der westliche Theil
von Teneriffa nicht wegen der Nähe des Pies, der bei jedem
Schritt neue Gesichtspunkte darbietet, unendlich schöner wäre. Der
Anblick dieses Berges interessirt nicht bloß durch seine imposante
20. Masse; er beschäftigt die Seele lebhaft, indem er sie an die
geheimnißvolle Quelle des vulcanischen Feuers zurückführt. Seit
Tausenden von Jahren wurde keine Flamme, keine Erhellung auf
dem Gipfel des Piton wahrgenommen, und doch beweisen ungeheure
Seiten-Ausbrüche, wovon der letzte im Jahr 1798 statt fand, die
25. Thätigkeit des Feuers, welches noch fern ist zu erlöschen. Es liegt
überdieß etwas Niederschlagendes in dem Anblick eines Kraters, der
in der Mitte eines fruchtbaren und wohlbebauten Landes liegt. Die
Geschichte der Erde lehrt uns, daß die Vulcane zerstören, was sie
in dem langen Zeitraum von Jahrhunderten hervorgebracht haben.
30. Inseln, welche das unter dein Meer thätige Feuer über die Fluchen
emporhob, schmücken sich nach und nach mit einen: üppigen und
lachenden Grün; aber oft werde:: diese neuen Länder durch die Ge¬
walt der nämlichen Kräfte zerstört, welche den Grund des Oceans
emporgehoben haben. Vielleicht waren manche der kleinen Inseln,
35. die gegenwärtig nichts als einen Haufen von Schlacken und vulca¬
nischen Aschen darbieten, ehemals eben so fruchtbar, als die Abhänge
von Tacoronte. Glücklich das Land, wo der Mensch dem Boden
nicht mißtrauen darf, feen er bewohnt! —
Die Reise auf die Spitze des Vulcans von Teneriffa ist nicht
40. nur wegen der großen Anzahl von Erscheinungen interessant, welche
sich unsern wissenschaftlichen Forschungen darbieten; sie ist es noch
mehr durch die malerischen Schönheiten, die sich denen darbieten,
welche die Majestät der Natur lebhaft empfinden. Es ist ein schwie¬
riges Bestreben, diese Empfindungen zu malen; sie wirken um so
45. stärker auf uns, als sie etwas gewisses Unbestimmtes haben, welches
durch die Unermeßlichkeit des Raums, wie durch die Größe, Neu¬
heit und Mannichfaltigkeit der Gegenstände, in deren Mitte wir
uns versetzt finden, hervorgebracht wird. Wenn ein Reisender die
höchsten Gipfel unseres Erdballs, die Katarakten großer Ströme,