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15. Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe.*
I. 'Auf der Burg zu Germersheim, 'Stark am Geist, am
Leibe schwach, 3 Sitzt der greise Kaiser Rudolf, 'Spielend das
gewohnte Schach.
II. Mud er spricht: „Ihr guten Meister! 'Aerzte! sagt mir 5-
ohne Zagen, 33B<mn aus dem gebrochnen Leib 'Wird der Geist
zu Gott getragen?"
III. 1 llnb die Meister sprechen: „Herr! 2Wohl noch heut"
erscheint die Stunde." 3Freundlich lächelnd spricht der Greis:
'„Meister! Dank für diese Kunde!" ^ 10.
IV. 'Auf! nach Speyer! auf nach Speyer!" — 'Ruft er,
als das Spiel geendet, — 3„Wo so mancher deutsche Held 4Siegt
begraben, sei's vollendet!"
V. '„Blast die Hörner! bringt das Roß, -Das mich oft
zur Schlacht getragen!" 3Zaudernd stehn die Diener all', 'Doch 15.
er ruft: „Folgt ohne Zagen!"
VI. > Und das Schlachtroß wird gebracht. 2„Nicht zum Kampf,
zum ew'gen Frieden" — 3Spricht er — „trage, treuer Freund!
'Jetzt den Herrn, den Lebensmüden!"
VII. 'Weinend steht der Diener Schaar, 'Als der Greis 20.
auf hohem Rosse, 3Rechts und links ein Capellan, 'Zieht, halb
Leich', aus seinem Schlosse.
VIII. 'Trauernd neigt des Schlosses Lind' 'Vor ihm ihre
Aeste nieder, 3 Vögel, die in ihrer Hut, 4 Singen wehmutsvolle
Lieder. 25.
IX. 'Mancher eilt des Wegs daher, 'Der gehört die bange
Sage, 3Sieht des Helden sterbend Bild, ''Und bricht aus in
laute Klage.
X. 'Aber nur von Himmelslust 'Spricht der Greis mit
jenen Zweien; 3Lächelnd blickt sein Angesicht, 'Als ritt er zur ZO.
Lust im Maien.
XI. 'Von dem hohen Dom zu Speyer '-'Hört man dumpfe
Glocken schallen, 3Ritter, Bürger, zarte Frau'n, 'Weinend ihm
entgegen wallen.
XII. 'Ire den hohen Kaisersaal 'Ist er rasch noch einge- 35.
treten; 3Sitzend dort auf goldnem Stuhl, 'Hört man für das
Volk ihn beten.
XIII. '„Reichet mir den heil'gen Leib!" ''Spricht er nun
mit bleichem Munde, — 3Drauf verjüngt sich sein Gesicht 'Um
die mitternächt'ge Stunde. 40.
XIV. 'Da auf einmal wird der Saal 'Hell von überird'-
schem Lichte, 3Und verschieden sitzt der Held, 'Himmelsruh im
Angesichte.
XV. 'Glocken dürfen's nicht verkünden, 'Boten nicht zur
Leiche bieten, 3Alle Herzen längs des Rheins 'Fühlen, daß der 45.
Held verschieden.
Justinus Kerner.