Full text: Literaturgeschichtliches Hand- und Lesebuch (Teil 10 = Klasse 2, 1 und Oberlyzeum, [Schülerband])

Fünfter Zeitraum. 
Die Gelehrtendichtung und die Anfänge 
einer neuen Zeit (1624—1748). 
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Elftes Kapitel. 
A. Das Jahrhundert des großen Krieges. 
Schon im Reformationszeitalter war Deutschland politisch und wirtschaftlich 
zurückgegangen. Auch die geistigen Interessen waren in der zweiten Hälfte 
des 16. Jahrhunderts zu einseitig in den Dienst der kirchlich-theologischen Lehr¬ 
meinungen und Streitigkeiten gestellt. Darunter hatte notwendig die Weiter¬ 
entwicklung der verheißungsvollen aus dem Volksleben quellenden Dichtung 
früherer Zeit (Volkslied, Schwank, Drama) gelitten. Aber erst der furchtbare 
Dreißigjährige Krieg brachte für unser Land das völlige Verderben in jeder 
Richtung: nicht nur die Verwüstung, Verarmung und Entvölkerung weiter Ge¬ 
biete, sondern auch einen unerhörten Niedergang der geistigen und sittlich¬ 
religiösen Zustände. Wie die Bauem, so war auch das gute Bürgertum, das 
wir seit dem Aufblühen der Städte als den wichtigsten Träger der Kultur er¬ 
kannten, entartet und seinen höheren Daseinszwecken entwertet. Dagegen hatte 
der Krieg die Selbstherrlichkeit der Fürsten und Herren in den zahlreichen 
kleinen und großen Herrschaftsgebieten weiter gefestigt. Die Führung der Kultur 
ging nun über auf die Fürsten und ihre Höfe, den Adel und die bürgerlichen 
Kreise, die mit ihm Fühlung hatten: Beamte, Gelehrte, Geistliche. So ent¬ 
stand eine fürstlich-adlig-bürgerliche Kultur. Ihr Kennzeichen ist bei der Ver¬ 
wilderung der bodenständigen Kultur die Nachahmung fremder Kultur. 
Namentlich Frankreich, das damals unter Ludwig XIII. und Ludwig XIV. 
seinen glänzenden Aufstieg erlebte, wurde das Vorbild der herrschenden Klassen 
in Leben, Sitte, Kleidung, Sprache und Dichtung. Aber auch Italien, Spanien 
und namentlich Holland beeinflußten das deutsche Leben. Von den oberen 
Ständen drang diese fremde Kultur bis tief ins Volk. War doch die an¬ 
geborene Schwäche der Deutschen für das Fremde durch die Leiden des 
Kriegs bis zur Sklavengesinnung gegenüber dem Eigenwert emiedrigt. Ein 
zeitgenössischer Satiriker, Moscherosch, spricht in seinen „Gesichten" von den 
„neusüchtigen Teutschlingen", wollte man deren Herz öffnen, „man würde 
augenscheinlich befinden, das Fünfachtheil derselben Frantzösisch, Ein achtheil 
Spanisch, Ein achtheil Italiänisch, Ein achtheil doch nicht wohl Teutsch daran 
sollte gefunden werden." 
Wie die bildenden Künste, namentlich die Baukunst, von Fürsten und 
Adel nach ausländischem Muster gepflegt wurden: Renaissance, Barock, Rokoko,
	        
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