302
VI. Die zweite Blütezeit der deutschen Dichtung.
O
Ihr Völker! die ihr viel gelitten,
Vergaßt auch ihr den schwülen Tag?
Das Herrlichste, was ihr erstritten,
Wie kommt's, daß es nicht frommen
mag?
Zermalmt habt ihr die fremden Horden,
Doch innen hat sich nichts gehellt,
Und Freie seid ihr nicht geworden,
Wenn ihr das Recht nicht festgestellt.
Ihr Weisen! muß man euch berichten,
Die ihr doch alles wissen wollt,
Wie die Einfältigen und Schlichten
Für klares Recht ihr Blut gezollt?
Meint ihr, daß in den heißen Gluten
Die Zeit, ein Phönix, sich erneut,
Nur um die Eier auszubruten,
Die ihr geschäftig unterstreut?
Ihr Fürstenrät' und Hosmarschälle
Mit trübem Stern auf kalter Brust,
Die ihr vom Kampf um Leipzigs
Wälle
Wohl gar bis heute nichts gewußt,
Vemehmt! an diesem heutigen Tage
Hielt Gott der Herr ein groß Gericht.
— Ihr aber hört nicht, was ich sage,
Ihr glaubt an Geisterstimmen nicht.
Was ich gesollt, hab' ich gesungen,
Und wieder schwing' ich mich empor,
Was meinem Blick sich aufgedrungen,
Verkünd' ich dort dem sel'gen Chor:
Nicht rühmen tot ich, nicht verdam-
Untröstlich ist's noch allerwärts, smen,
Doch sah ich manches Auge flammen,
Und klopfen hört' ich manches Herz."
9» Die sterbenden Helden. 1804.
Der Dänen Schwerter drängen Schwedens Heer
Zum wilden Meer.
Die Wagen klirren fern, es blinkt der Stahl
Im Mondenstrahl.
Da liegen sterbend auf dem Leichenfeld
Der schöne Sven und Ulf, der graue Held.
Sven. O Vater! daß mich in der Jugend Kraft
Die Norne rafft!
Nun schlichtet nimmer meine Mutter mir
Der Locken Zier.
Vergeblich spähet meine Sängerin
Vom hohen Turm in alle Ferne hin.
Ulf. Sie werden jammern, in der Nächte Graun
Im Traum uns schaun.
Doch sei getrost! bald bricht der bittre Schmerz
Ihr treues Herz.
Dann reicht die Buhle dir bei Odins Mahl,
Die goldgelockte, lächelnd den Pokal.
Sven. Begonnen hab' ich einen Festgesang
Zum Saitenklang,
Von Königen und Helden grauer Zeit
In Lieb' und Streit.
Verlassen hängt die Harfe nun, und bang
Erweckt der Winde Wehen ihren Klang.