Full text: Literaturgeschichtliches Hand- und Lesebuch (Teil 10 = Klasse 2, 1 und Oberlyzeum, [Schülerband])

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VI. Die zweite Blütezeit der deutschen Dichtung. 
O 
Ihr Völker! die ihr viel gelitten, 
Vergaßt auch ihr den schwülen Tag? 
Das Herrlichste, was ihr erstritten, 
Wie kommt's, daß es nicht frommen 
mag? 
Zermalmt habt ihr die fremden Horden, 
Doch innen hat sich nichts gehellt, 
Und Freie seid ihr nicht geworden, 
Wenn ihr das Recht nicht festgestellt. 
Ihr Weisen! muß man euch berichten, 
Die ihr doch alles wissen wollt, 
Wie die Einfältigen und Schlichten 
Für klares Recht ihr Blut gezollt? 
Meint ihr, daß in den heißen Gluten 
Die Zeit, ein Phönix, sich erneut, 
Nur um die Eier auszubruten, 
Die ihr geschäftig unterstreut? 
Ihr Fürstenrät' und Hosmarschälle 
Mit trübem Stern auf kalter Brust, 
Die ihr vom Kampf um Leipzigs 
Wälle 
Wohl gar bis heute nichts gewußt, 
Vemehmt! an diesem heutigen Tage 
Hielt Gott der Herr ein groß Gericht. 
— Ihr aber hört nicht, was ich sage, 
Ihr glaubt an Geisterstimmen nicht. 
Was ich gesollt, hab' ich gesungen, 
Und wieder schwing' ich mich empor, 
Was meinem Blick sich aufgedrungen, 
Verkünd' ich dort dem sel'gen Chor: 
Nicht rühmen tot ich, nicht verdam- 
Untröstlich ist's noch allerwärts, smen, 
Doch sah ich manches Auge flammen, 
Und klopfen hört' ich manches Herz." 
9» Die sterbenden Helden. 1804. 
Der Dänen Schwerter drängen Schwedens Heer 
Zum wilden Meer. 
Die Wagen klirren fern, es blinkt der Stahl 
Im Mondenstrahl. 
Da liegen sterbend auf dem Leichenfeld 
Der schöne Sven und Ulf, der graue Held. 
Sven. O Vater! daß mich in der Jugend Kraft 
Die Norne rafft! 
Nun schlichtet nimmer meine Mutter mir 
Der Locken Zier. 
Vergeblich spähet meine Sängerin 
Vom hohen Turm in alle Ferne hin. 
Ulf. Sie werden jammern, in der Nächte Graun 
Im Traum uns schaun. 
Doch sei getrost! bald bricht der bittre Schmerz 
Ihr treues Herz. 
Dann reicht die Buhle dir bei Odins Mahl, 
Die goldgelockte, lächelnd den Pokal. 
Sven. Begonnen hab' ich einen Festgesang 
Zum Saitenklang, 
Von Königen und Helden grauer Zeit 
In Lieb' und Streit. 
Verlassen hängt die Harfe nun, und bang 
Erweckt der Winde Wehen ihren Klang.
	        
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