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Thauwetter den Küsten von Grönland und Spitzbergen entführt.
Andererseits können die Mollusken und andere Thiere, welche die
Gewässer des Golfstromes beherbergen, nicht den plötzlichen Ueber-
gang aus ihrem lauen, mit Salz und nahrhaften Stoffen erfüllten
Element in die niedere Temperatur der faden und eisigen Polarflut
ertragen. Sie kommen zu Millionen um, und ihre Überbleibsel
häufen sich an, untermischt mit mineralischen Stoffen. Neufundland
ist so gewissermaßen eine große Grabstätte dieser durch die Kälte
getödteten Wanderthiere. Na-hMasius.
90. Das nördliche Eismeer.
Groß sind die Gefahren der Korallenriffe im stillen Ocean;
aber sie können sich nicht messen mit den Schrecknissen des Polar¬
meeres; und dennoch reizt dieses heilige Meer, wie es an einer
Stelle nördlich von Asien heißt, immer von neuem wieder, seinen
eisigen Schleier zu lüften, der noch so viel Geheimnisse birgt. Mancher
Name eines kühnen Seefahrers steht schon an seinen Küsten einge¬
graben und zeugt von den Versuchen, die man anstellte, die nörd¬
liche Seite von Asien und Amerika zu umschiffen. Selbst bis dahin,
wo die Sonne Monate lang verschwindet, das flüssige Quecksilber
zu hammerhartem Stein wird, wo die Schneegans und die Schnee¬
lerche nicht mehr ausdauern können, wo die weißen Füchse und die
grimmigen Eisbären sich scheu zurückgezogen haben, wo die schaurige
Todtenstille nur durch das donnernde Zerbersten des Eises unter¬
brochen wird, selbst bis dahin sind kühne Schiffer vorgedrungen:
aber das gewünschte Ziel haben sie nicht erreicht. Dort ist das
Land des Todes, die ganze Natur ist zu einer Leiche erstarrt. Kein
winterlicher Baum mit verglasten Ästen und Zweigen schlummert
hier, auf ein frohes Wiedererwachen harrend; kein liederreicher
Sänger, der in den Gezweigcn nistet, läßt sich hören; kein Winter¬
schläfer hat sich in den erstarrten Boden eingegraben. Ein unend¬
liches Gefilde, bedeckt mit Schnee und Eis, so blendend weiß, daß
bas Auge einen längeren Anblick nicht ertragen kann, eine eisige
Luft, mit feinem Schneestaub untermischt, der einen brennenden
Durst verursacht, ein kieselharter Schnee, der erst gekocht werden
wuß, wenn man seinen Durst damit löschen will, — das sind die
Gaben des Poles. Wer dort Hütten bauen will, muß sie aus
Quadern von Schnee und Eis bauen, wobei die Axt gar leicht wie
Glas zerspringt.
Nähert der Schiffer sich der Eisregion des Polarmeeres, so
stellen sich bald auch warnende Zeichen ein. Schneeweiße Sturm¬
vögel eilen ihm in Scharen entgegen, in ihrem Zuge die Richtung