Full text: Vaterländisches Lesebuch für die mehrklassige evangelische Volksschule Norddeutschlands

158. Das Vogelgeschrei. 
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und warfen sie dann zu Boden, um daraus die Zukunft zu deuten. 
Daher heissen noch jetzt jene wundersamen Zeichen, mit denen wir in 
Schrift und Druck unsere Gedanken darstellen können, Buchstaben. 
Masius. 
156. Lied eines Armen. 
1. bin so gar ein armer Mann 
und gebe ganz allein. 
Ich möchte wohl nur einmal noch 
recht frohen Mutes sein. 
2. In meiner lieben Eltern Haus 
war ich ein frohes Kind; 
der bittre Kumnier ist mein Teil, 
seit sie begraben sind. 
3. Der Reichen Gärten seh' ich blühn, 
ich seh' die golvne Saat. 
Mein ist der unfruchtbare Weg, 
den Sorg' und Mühe trat. 
4. Doch weil' ich gern im stillen Weh 
in froher Menschen Schwarm 
und wünsche jedem guten Tag 
so herzlich und so warm. 
5. O reicher Gott, du ließest doch 
nicht ganz mich freudenleer: 
ein süßer Trost für alle Welt 
ergießt sich himmelher. 
Ü. Noch steigt in jedem Dörslein ja 
dein heilig Haus empor; 
die Orgel und der Chorgesang 
ertönet jedem Ohr. 
7. Noch leuchtet Sonne, Mond und Stern 
so liebevoll auch mir, 
und wann die Abendglocke hallt, 
da red' ich, Herr, mit dir. 
8. Einst öffnet jedem Guten sich 
dein hoher Frendensaal; 
dann komm' auch ich im Feierkleid 
und setze mich ans Mahl. uhland. 
157. Dr. Luthers Wohltätigkeit. 
Ein Mann, der um des Glaubens willen vertrieben war, sprach Dr. Luther 
einst um eine Gabe an. Luther hatte selbst nur einen Taler in seiner Kasse, 
den er lange aufgespart hatte. Solche Geldstücke rvurden damals Joachimstaler 
genannt, nach der Stadt Joachimsthal im Erzgebirge, wo sie geprägt wurden; 
davon heißen sie heutzutage Taler. Als Luther nun angesprochen ward, be¬ 
dachte er sich kurz, griff fröhlich nach dem Taler mit den Worten: „Jochen, 
heraus, der Herr Christus ist da", und gab ihn dem armen Manne. 
Einmal kam zum Dr. Luther ein armer Student, der nach Hause reisen 
wollte und doch kein Reisegeld hatte. Er bat Luther um eine Gabe; der aber 
hatte diesmal selber gar kein Geld und wurde sehr betrübt, daß er nichts zu 
geben hatte. Wie er so traurig in der Stube umhersah, erblickte er einen 
schönen silbernen Becher, den er von seinem Kurfürsten zum Geschenk erhalten 
hatte. Da lies er mit fröhlichem Blick hinzu, ergriff das Kleinod und reichte 
es dem Studenten, indem er sprach: „Ich brauche keinen silbernen Becher." 
Und als der Student sich weigerte, ihn anzunehmen, drückte Luther den Becher 
mit seiner kräftigen Hand zusammen und sprach: „Da nimm ihn, trag' ihn 
zum Goldschmied, und was du dafür lösest, das behalte." Wähler. 
158. Das Vogelgeschrei. 
'■JVr reiche Kaufmann Sondersleben in Frankfurt am Main hielt die Ge- 
¿■s böte des Herrn seines Gottes. Er halte sie nicht bloß in seiner Bibel 
stehen, sondern sie waren ihm auch tief ins Herz geschrieben. Aber er achtete 
auf Vogelgeschrei, wie der König Manasse von Juda, und doch anders als 
dieser, nämlich also.
	        
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