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B. Beschreibende Prosa. VI. Naturbilder.
Tiefebenen tritt sie oft zu schönen Gruppen zusammen. Ein saftgrüner
Rasen, ein blauer Himmel, ein klarer Quell — das giebt dann Ruis-
daelsche Bilder. Da und dort hebt der Hirsch das stolze Geweih; er
hat den Jagdruf aus der Ferne vernommen. Freundliche Blicke öffnen
sich zwischen den schwarzen, gewaltigen Stämmen, und durch die dunkel-
ernsten Laubmassen gleitet still ein goldner Strahl. In ihrer ganzen
Großartigkeit erscheint die Eiche auf der Höhe des Gebirges. In der
Urwaldwildnis muß man die tausendjährige sehen. Weit über die
Quaderwände hinaus, tief in die steinernen Rippen schlägt die Wurzel
ihre mißgestalteten Pranken, als wolle sie die Erde spalten, und aus
dem Grunde treibt und wächst es hinauf, langsam, aber riesengroß, bis
zu der luftigen Wolkenstraße selber. Wie ein undurchdringlicher Harnisch
legt sich die tief durchrissene Rinde dem Recken um Leib und Glieder,
zornig zucken die knorrigen Äste, und wo der Nordwind seine Speere
gegen den Eisenstamm schleudert, deckt ihn die zottige Mooshülle mit
dichtem Schilde. So hat er seinen Fuß droben eingegraben, der Alte
vom Berge, ein reisiger, riesiger Held, und freut sich die Wolkenschlacht
mit Äolus und seinem wilden Heer zu kämpfen. Vom Boden aber rankt
Eppich und Geißblatt hinauf, und Fink und Amsel spinnen frische Lieder
um seine Zweige. Das ist die deutsche Eiche. Sie hat Welf und
Weibling, Ziska und Prokop, Friedland und die Schweden gesehen
Unter ihrem Wipfel mochte vielleicht das Dies irae verfolgter Ketzer
grollend in die Nacht hinausklingen; ihr Schatten deckte wohl den
räuberischen Landsknecht, wenn er dem Hufschlag des schätzebeladenen
Saumtierzuges horchte. Sie steht noch, stolz und grün; aber es sind
nur wenige ihresgleichen, und wird dem Beile, welches unsere Zeit
schonungslos gegen jede Pflanzung der Natur schwingt, nicht Einhalt
gethan, so werden auch sie bald fallen.
Neben der Eiche gebührt der Buche der Preis unter unseren Wald¬
bäumen. Sie liebt sanft gehobene Flächen und tritt gern von den
Höhen des Gebirges auf die sonnigen Hügelzüge am Fuße herab.
Durch ganz Thüringen, in den Harzthälern, auf Rügen, in den hol¬
steinischen Marschen herrscht dieser Baum; aber in der stolzesten Pracht
seines Wachstums blickt er über die Buchten von Kopenhagen, wie
überhaupt der Norden das Buchenland ist. Unter allen Bäumen ist
die Buche der geselligste; sie schießt ihre Wurzeln nicht tief ins Erd¬
reich, sie muß sie mit ihren Schwesterbäumen kreuzen. So, mit ver¬
schlungenen Wurzeln und Wipfeln, trotzt ein Buchenwald den Stürmen
und dem Sonnenbrand. Allein, ohne andern Schutz, erliegt die Buche
bald der Witterung. In Jugendkraft, leicht und doch stolz, wie aus
Stahl, steigt der runde Schaft hinauf. Glatt und dicht umschließt ihn
die silbergraue Rinde, von keinem Moose benagt und, wo es geschieht,
gegen das Sammetgrün desselben freundlich abstechend. Fast meint
man daran die Härte des Holzes zu erkennen, das in der knappen
Bekleidung gleichsam nackt erscheint und in seinen Anschwellungen das
Bild eines muskelstraffen Armes giebt. Ast und Zweig treten erst in
der Höhe hervor, sie greifen scharflinicht aus, fast wie die Zweige der