Full text: [Abteilung 3 = Quarta, [Schülerband]] (Abteilung 3 = Quarta, [Schülerband])

116 
B. Beschreibende Prosa. VI. Naturbilder. 
Tiefebenen tritt sie oft zu schönen Gruppen zusammen. Ein saftgrüner 
Rasen, ein blauer Himmel, ein klarer Quell — das giebt dann Ruis- 
daelsche Bilder. Da und dort hebt der Hirsch das stolze Geweih; er 
hat den Jagdruf aus der Ferne vernommen. Freundliche Blicke öffnen 
sich zwischen den schwarzen, gewaltigen Stämmen, und durch die dunkel- 
ernsten Laubmassen gleitet still ein goldner Strahl. In ihrer ganzen 
Großartigkeit erscheint die Eiche auf der Höhe des Gebirges. In der 
Urwaldwildnis muß man die tausendjährige sehen. Weit über die 
Quaderwände hinaus, tief in die steinernen Rippen schlägt die Wurzel 
ihre mißgestalteten Pranken, als wolle sie die Erde spalten, und aus 
dem Grunde treibt und wächst es hinauf, langsam, aber riesengroß, bis 
zu der luftigen Wolkenstraße selber. Wie ein undurchdringlicher Harnisch 
legt sich die tief durchrissene Rinde dem Recken um Leib und Glieder, 
zornig zucken die knorrigen Äste, und wo der Nordwind seine Speere 
gegen den Eisenstamm schleudert, deckt ihn die zottige Mooshülle mit 
dichtem Schilde. So hat er seinen Fuß droben eingegraben, der Alte 
vom Berge, ein reisiger, riesiger Held, und freut sich die Wolkenschlacht 
mit Äolus und seinem wilden Heer zu kämpfen. Vom Boden aber rankt 
Eppich und Geißblatt hinauf, und Fink und Amsel spinnen frische Lieder 
um seine Zweige. Das ist die deutsche Eiche. Sie hat Welf und 
Weibling, Ziska und Prokop, Friedland und die Schweden gesehen 
Unter ihrem Wipfel mochte vielleicht das Dies irae verfolgter Ketzer 
grollend in die Nacht hinausklingen; ihr Schatten deckte wohl den 
räuberischen Landsknecht, wenn er dem Hufschlag des schätzebeladenen 
Saumtierzuges horchte. Sie steht noch, stolz und grün; aber es sind 
nur wenige ihresgleichen, und wird dem Beile, welches unsere Zeit 
schonungslos gegen jede Pflanzung der Natur schwingt, nicht Einhalt 
gethan, so werden auch sie bald fallen. 
Neben der Eiche gebührt der Buche der Preis unter unseren Wald¬ 
bäumen. Sie liebt sanft gehobene Flächen und tritt gern von den 
Höhen des Gebirges auf die sonnigen Hügelzüge am Fuße herab. 
Durch ganz Thüringen, in den Harzthälern, auf Rügen, in den hol¬ 
steinischen Marschen herrscht dieser Baum; aber in der stolzesten Pracht 
seines Wachstums blickt er über die Buchten von Kopenhagen, wie 
überhaupt der Norden das Buchenland ist. Unter allen Bäumen ist 
die Buche der geselligste; sie schießt ihre Wurzeln nicht tief ins Erd¬ 
reich, sie muß sie mit ihren Schwesterbäumen kreuzen. So, mit ver¬ 
schlungenen Wurzeln und Wipfeln, trotzt ein Buchenwald den Stürmen 
und dem Sonnenbrand. Allein, ohne andern Schutz, erliegt die Buche 
bald der Witterung. In Jugendkraft, leicht und doch stolz, wie aus 
Stahl, steigt der runde Schaft hinauf. Glatt und dicht umschließt ihn 
die silbergraue Rinde, von keinem Moose benagt und, wo es geschieht, 
gegen das Sammetgrün desselben freundlich abstechend. Fast meint 
man daran die Härte des Holzes zu erkennen, das in der knappen 
Bekleidung gleichsam nackt erscheint und in seinen Anschwellungen das 
Bild eines muskelstraffen Armes giebt. Ast und Zweig treten erst in 
der Höhe hervor, sie greifen scharflinicht aus, fast wie die Zweige der
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.