Full text: [Abteilung 3 = Quarta, [Schülerband]] (Abteilung 3 = Quarta, [Schülerband])

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B. Beschreibende Prosa. VI. Naturbilder. 
als würden sie eingesogen von der unersättlichen Bläue. Mancher Haus¬ 
vater ging händeringend zwischen den Feldern, und als es Abend ge¬ 
worden und selbst zerstückle Gewitter um den Rand des Horizontes 
standen und sich gegenseitig Blitze zusandten, sah ein von der Stadt 
heimfahrender Bauer selbst die halbgestorbene Großmutter mitten im 
Felde knieen und mit emporgehobenen Händen beten, als sei sie durch 
die allgemeine Not zu Bewußtsein und Kraft gelangt und als sei sie die 
Person im Dorfe, deren Wort vor allen Geltung haben müsse im Jen¬ 
seits. Die Wolken wurden dichter, aber blitzten nur und regneten nicht. 
Samstagmorgen war angebrochen, und der ganze Himmel hing 
voll Wolken; aber noch war kein Tropfen gefallen. Gestern gab jeder 
die Hoffnung der Ernte auf, und heute glaubte jeder, mit einigen 
Tropfen wäre ihr geholfen. Die Weiber und Mägde standen auf dem 
Dorfplatze und hatten Fässer und Geschirr mitgebracht, um, wenn es 
regne und der Dorfbach sich fülle, doch auch heuer wie sonst ihre Fest¬ 
tagsreinigungen vornehmen zu können und feierliche Pfingsten zu halten. 
Aber es wurde Nachmittag, und noch kein Tropfen war gefallen; die 
Wolken wurden zwar nicht dünner — aber es kam auch der Abend, 
und kein Tropfen war gefallen. 
Des andern Morgens, als sich die Augen aller Menschen öffneten, 
war der ganze Heidehimmel grau, und ein dichter, sanfter Landregen 
träufelte nieder. Alles, alles war nun gelöst; die freudigen Festgruppen 
der Kirchgänger rüsteten sich und ließen gern das köstliche Naß durch 
ihre Kleider sinken, um zum Tempel Gottes zu gehen und zu danken. 
66. Naturbilder aus der Alpenwelt. 
Von Friedrich von Tschudi. Das Tierleben der Alpenwelt. Leipzig, 1854. 
d) Die Staublawinen. 
Zu den vorzüglich malerischen Erscheinungen der Alpenlandschaft 
gehören die Lawinen, diese ungeheuern donnernden Schneeströme, durch 
welche die Alpen sich stellenweise unermeßlicher Schneegebiete entledigen 
und deren Majestät ebenso groß ist wie die Furchtbarkeit ihrer Gewalt. 
Man unterscheidet Grund- und Staublawinen. Jene enfftehen, wenn 
die Sonnenwärme oder der Föhn im Frühling bis in den Vorsommer 
hinein große Schneefelder auflöst, unterfrißt, mit Wafferrinnen durch¬ 
zieht und ihre Unterlage so erweicht, daß bei geringer Veranlassung 
ganze Strecken gleichzeitig ins Rutschen kommen. Sie kehren periodisch 
wieder, haben ihre bestimmten Züge und Gänge, ihre Kessel, in denen 
sie aufgehoben werden, ihre Lagerfelder, wo die bewegten Massen zur 
Ruhe kommen. Gefährlicher, gewaltiger und unregelmäßiger sind die 
Staublawinen. Sie treten nur im Winter und ersten Vorfrühling auf 
und entstehen, wenn auf eine feste, harte Schneedecke große Lasten 
neuen, körnigen, losen Schnees fallen. Dieser hat, wenn die Abhänge 
etwas steil sind, keinen Halt auf jener; das Einstürzen eines kleinen 
Schneegesimses in der Höhe, der Tritt einer Gemse, eines Hasen, ja
	        
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