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Faßt ihn mit Adlerschnelle,
Trägt ihn zum sichern Ort;
Das Kind entspringt der Welle,
Den Alten reißt sie fort.
Doch als nun ausgestoßen
Die Fluth den todten Leib,
Da steh'n um ihn ergossen
In Jammer Mann und Weib;
Als kracht' in seinem Grunde
Des Rothstocks Felsgestell,
Erschallt's aus Einem Munde:
Der Tell ist todt, der Tell!
Wär' ich ein Sohn der Berge,
Ein Hirt am ew'gen Schnee,
Wär' ich ein kecker Ferge
Auf Uri's grünem See,
Und trät' in meinem Harme
Zum Tell, wo er verschied,
Des Todten Haupt im Arme,
Spräch' ich ein Klagelied:
Da liegst du, eine Leiche,
Der Aller Leben war;
Dir trieft nun noch das bleiche
Gesicht, das greise Haar.
Hier steht, den du gerettet,
Ein Kind, wie Milch und Blut;
Das Land, das du entfettet,f
Steht rings in Alpengluth.
Die Kraft derselben Liebe,'
Die du dem Knaben trugst,
Ward einst in dir zum Triebe,
Daß du den Zwingherrn schlugst.
Nie schlummernd, nie erschrocken,
War retten stets dein Brauch,
Wie in den braunen Locken,
So in den grauen auch.
Wärst du noch jung gewesen,
Als du den Knaben fingst,
Und wärst du dann genesen,
Wie du nun untergingst,
Wer hätte d'raus geschlossen
Auf künft'ger Thaten Ruhm?
Doch schön ist nach dem großen
Das schlichte Heldenthum.
Dir hat dein Ohr geklungen
Vom Lob', das man dir bot,
Doch ist zu ihm gedrungen
Ein schwacher Ruf der Noth.
Der ist ein Held der Freien,
Der, wann der Sieg ihn kränzt,
Noch glüht, sich dem zu weihen,
Was frommet und nicht glänzt.
Gesund bist du gekommen
Vom Werk des Zorns zurück,
Im Hülfereichen, frommen,
Verließ dich erst dein Glück.
Der Himmel hat dein Leben
Nicht für ein Volk begehrt;
Für dieses Kind gegeben,
War ihm dein Opfer werth.
Wo du den Vogt getroffen
Mit deinem sichern Strahl,
Dort steht ein Bethaus offen,
Dem Strafgericht ein Maal;
Doch hier, wo du gestorben,
Dem Kind' ein Heil zu sein,
Hast du dir nur erworben
Ein schmucklos Kreuz von Stein.
Weithin wird Lob gesungen,
Wie du dein Land befreit,
Von großer Dichter Zungen
Vernimmt's noch späte Zeit;
Doch steigt am Schächen nieder
Ein Hirt im Abendroth,
Dann hallt's im Felsthal wieder
Das Lied von deinem Tod.
L. Uhland.
60. Der Nachtigall Pfinastaesang.
Zu Pftngsten sang die Nachtigall,
Nachdem sie Thau getrunken,
Die Rose hob beim Hellen Schall
Das Haupt, das ihr gesunken.
O kommt, ihr alle, trinkt und speis't,
Ihr Frühlingsfestgenossen,
Weil über's ird'sche Mahl der Geist
Des Herrn ist ausgegossen.
Die Himmelsjünger groß und klein
Sind von der Kraft durchdrungen,
Man hört sie reden insgemein
In wunderbaren Zungen.
Und da ist keine Zung' am Baum,
Kein Blatt ist da so kleines,
Es redet auch mit d'rein im Traum,
Als sei's voll süßen Weines.
O ihr Apostel, gehet aus
Und predigt allen Landen
Mit Säuselluft und Sturmesbraus
Bon dem, der ist erstanden.
Legt aus sein Evangelium,
Auf Frühlingsau'n geschrieben,
Daß er uns lieben will darum,
Wenn wir einander lieben.
Sprecht von der Liebe Löhnungen,
Sprecht von des Friedens Schmause,
Sprecht von den vielen Wohnungen
In unsers Vaters Hause.