208 14. Lyrische Poesie. Geibel: Tas Auge Gottes. Wa lther v. d. V-: Maienlust.
3. Wie opferfreudig von Gau zu Gau
Hat Deutschlands Volk gesteuert!
Ihm ward mit meines Tempels Bau
Der Einheitstraum erneuert.
Des Reiches eigner Herold nun,
Die Wacht am Rhein verseht ich,
Daß am heimischen Herde die Völker ruhn,
Auf heil'ger Warte steh' ich!
4. Niemals im Hader der Partein
Soll meine Stimm' erschallen,
Ich ruf' im Fest- und Friedensschein
Alldeutschland in die Hallen.
Vom hochaufstrebenden Glockenturm
Weit über die Lande seh' ich;
Ich übertöne Kampf und Sturm;
Dem deutschen Reich erfleh' ich:
Daß Fried' und Wehr
Ihm Gott bescher'!
64 Das Auge Gottes.
Wenn du jemals in ein leuchtend Auge
Schautest und in seiner feuchten Tiefe
Eine liebe Menschenseele ruhn sahst,
O so blick empor zum Himmel heute!
Denn ein glänzend aufgeschlagnes Auge
Ist auch er, und durch den blauen Schimmer
Magst du in den Abgrund aller Liebe,
Magst du tief in Gottes Herz hinabsehn.
Geibel.
65. Maienlust.
1. Wollt ihr schauen, was dem
Maien
Wunders Gott gewährte?
Seht die Pfaffen, seht die Laien,
Wie das sich gebärde.
Ja, er hat Gewalt.
Weiß nicht, ob er zaubern kann:
Kommt mit seiner Lust er an,
Dann ist niemand alt.
2. Uns wird alles wohl gelingen,
Freud' und Fröhlichkeit,
Tanzen, Lachen, Jubeln, Singen,
Wie's die Zucht gebeut.
Ei, wer wär' nicht froh?
Da die Vögelein so schöne
Singen ihre besten Töne,
Thun wir ebenso!
3. Wohl dir, Mai, wie du be-
scheidest
Jedem seine Freude!
Wie du schön die Bäume kleidest,
Wie du schmückst die Heide!
War sie bunter je?
..Klein bist du, ich größer, schaue!"
Streiten auf der duft'gen Aue
Blumen mit dem Klee.
Walther v. d. Vogelweide.
(Übersetzt von Fr. Koch.)