157
und rein blasen zu können, und augenblicklich war die Sitzung aufge-
hoben: jeder brachte seine Waffen und Kleider in Ordnung , bezahlte sein
Genossenes oder gab der Madame einen bedeutenden Wink, und sowie
das-Signal erscholl, stob alles in der größten Eile auseinander und
begab sich auf den Sammelplatz der Batterie zum Appell.
Der Appell ist für einen Militär, besonders von der leichten Art,
wozu wir jungen Leute fast alle gehörten, eine penible, kitzliche Viertel¬
stunde. Alan kann auf sie vollkommen das bekannte Sprichwort an¬
wenden: „Es ist nichts so fein gesponnen rc." Alles kommt beim Appell
an die Sonne. Es ist der Moment, wo der Hauptmann und die
Offiziere nichts wesentliches zu thun haben und deshalb die Fehler und
Unordnungen, welche in der Kompagnie begangen worden, ruhig über¬
denken, rügen und bestrafen, sowie neue Mängel aufsinden können.
Hatte etwa ein Unglücklicher unter uns einen abgerissenen Knopf durch
ein noch so künstliches manoeuvre de force ersetzt, d. h. den Hosen¬
träger und die Hose vermittelst eines Bindfadens zusammengeknüpft
(der Ausdruck manoeuvre de force, womit wir etwas der Art be¬
zeichneten, kommt daher, weil der Artikel in unserm Artillerieleitfaden
vom Zusammenflicken zerbrochener Geschützstücke ebenso überschrieben ist),
und war der Schaden noch so sehr verborgen und beim Exercieren oder
Reiten am Vormittag durchaus nicht bemerkt worden, beim Appell ent¬
deckte ihn sicher einer der herumspürenden Offiziere und zog den Be¬
treffenden vor die Batterie zu gebührender Strafe. Hatte einer am
Morgen aus Mangel an Lust zum Exerciren sich krank gemeldet, hatte
er sogar den Doktor überlistet und von ihm ein Zeugniß erpreßt über
bedeutenden Katarrh oder schlimme Kolik, beim Appell wurde der Kranke
dem Kapitän gemeldet, welcher sich sofort durch den wachthabenden
Unteroffizier theilnehmend nach ihm erkundigen ließ, eigentlich aber,
um zu erfahren, ob sich der Patient wirklich in seinem Bette oder doch
auf seiner Stube befinde. Meldete nun der Diensthabende, der Kranke
sei im Revier nicht zu finden, wehe ihm! Befand sich dagegen der
Kranke auf seiner Stube, so mußte er gewöhnlich vor der Kompagnie
erscheinen, und kam dann meistens in einem alten zerrissenen Stuben¬
mantel und Pantoffeln, um sich über seinen Zustand vernehmen zu lassen.
Eines Tages hatte sich ungefähr ein Dutzend krank gemeldet, wor-
über der Hauptmann beim Appell ein gewaltiges Geschrei erhob und
den Diensthabenden in größter Eile hinausjagte, sie samt und sonders
auf den Hof zu bringen. Der Unteroffizier gieng, kam aber sogleich
mit dem Bescheid zurück, sämtliche Kranke seien in ihren Betten und
weigerten sich, in ihrem Zustande sich der Luft auszusetzen. Neues
Fluchen von Seiten des Kapitäns, und der Befehl, die Kranken auf
der Stelle hieher zu bringen; bei dem Worte hie her zeigte er vor sich
auf die Erde, und der Unteroffizier, ein pünktlicher Mensch, hakte ruhig
seinen Säbel los und machte, ungefähr da, wo der verlängerte Finger
des Kapitäns die Erde berührt hätte, ein Kreuz und wollte gehen.
Ein donnerndes Halt des Offiziers hielt ihn zurück. „Was soll das
Zeichen, Herr?" Der Unteroffizier entgegnete ganz ruhig, um dem
Befehl des Herrn Hauptmanns genau nachzukommen, habe er sich die
Stelle bemerkt, wo er die Kranken hinbringen solle. Der unglückliche,
diensteifrige Mensch! ihm hatte am Morgen nicht geträumt, daß er sein
Mittagsbrot, und Brot im eigentlichen Sinne des Worts, im Arrest
verzehren sollte. Fünf Minuten nach obigem Vorfalle führte manchen
Diensthabenden nach Nr. 7^; so hieß der Kürze halber das Militär¬
gefängniß, weil es diese Nummer führte.
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50