Full text: [Teil 8 = 9. Schuljahr, [Schülerband]] (Teil 8 = 9. Schuljahr, [Schülerband])

194 JSi^ 
blassen der mythologischen Erinnrungen und Erzählungen mit sich 
führte, waren der Bewahrung heidnischer Mythen beide gleich un¬ 
günstig ; eigentliche Göttermythen dürfen daher nicht in der Zage 
gesucht werden. Was aber durch das Christentum nicht vernichtet 
90 werden konnte, das war die mythenbildende Phantasie und Geistes¬ 
anlage,- aus derselben Wurzel, der Natursymbolik, der in heidnischer 
Zeit Göttermythen entsprossen, erblühte jetzt der Heroenmythus,- Sieg- 
fried, Beowulf sind keine vermenschlichten Götter, sondern mythische 
Neubildungen, die von ihnen erzählten Mythen sind den Götter- 
95 mythen durch gleichartigen Ursprung verwandt, nicht aber aus ihnen 
entstanden. 
Die einzelnen Sagenstofse bilden von Rnfang an so wenig 
eine große, zusammenhängende Heldensage als die Einzellieder ein 
Epos. von derselben geschichtlichen oder mythischen Persönlichkeit 
loo gehen verschiedne Erzählungen um; sie verbinden sich durch die Ein¬ 
heit des Trägers der Lage miteinander,- fremde Zagen schließen sich 
durch Namengleichheit oder -ähnlichkeit oder aus sonstigen Gründen 
an - so gruppieren sich um Dietrich von Bern einzelne Sagen, die all¬ 
mählich miteinander in Zusammenhang gebracht werden,- so verbindet 
105 sich die Sage von den Burgunder-Königen mit der Siegfriedsage, so 
die mythische Wittichgestalt mit dem geschichtlichen widigoja, so der 
treue Eckart mit dem geschichtlichen Markgrafen Eckewart. Die Sage 
liebt in ihrem Drang nach anschaulicher persönlicher Fassung nicht 
unbenannte allgemeine Elemente, daher tritt an Stelle der hunnischen 
iio Heerhaufen, die den Burgunden ihr Ende bereiten, Rttila, daher 
wird die Treue der fränkischen Edeln gegen Theodebert in der Ge¬ 
stalt Berchtungs personifiziert. Die dichterische Rusgestaltung gewinnt 
immer größeren Einfluß: die geschichtlichen Tatsachen werden zu¬ 
sammengerückt, um eine bessere Begründung, eine ergreifendere Wirkung 
ii5 zu erzielen, sie werden anders erklärt, um sie dichterisch oder sittlich 
zu vertiefen. Die Entwicklung der Sage vom Tode Httilas bietet 
hierfür ein belehrendes Beispiel. So entwickelt sich aus verschiednen 
Elementen eine zusammenhängende, ausführliche Heldensage oder auch 
ein Sagenkreis, der seinen Mittelpunkt in der Person des Helden 
120 hat, z. B. der Sagenkreis von Dietrich von Bern. Ein weiterer Schritt 
ist dann die Verbindung verschiedner Sagen oder auch Sagenkreise 
miteinander: so gelangt durch die Verbindung mit Rttila Dietrich 
in die Nibelungensage, so wird in Skandinavien die Lrmanrichsage 
mit der Nibelungensage lose verbunden. Sn die späteste Zeit fällt 
125 das Bestreben, alle Sagen miteinander in Verbindung zu setzen, wie
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.