Metadata: Deutsche Dichtung des 19. und 20. Jahrhunderts (Band 3, [Schülerband])

Hermann Lingg 
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Den Toten? Nein! Ob auch das Gruftgewölbe 
SS Den schmerzensmüden Leib empfing: er lebt! 
Nicht in den Blättern der Geschichte bloß, 
Nicht bloß im Mund des Liedes noch im Erz, 
Das fromme Treue dankbar ihm erhöht! 
In seines Landes Segen und Gedeihn, 
100 In seines Volks Gesittung lebt er fort, 
Lr lebt in unsern Herzen, lebt im Sohn, 
Der, was er anhub, zu vollenden ringt. 
Und, daß er also fortlebt, sei uns Trost 
In unserm Leid. Denn sein's verging in Glanz, 
iss So dacht' ich und erleichtert hob sich mir 
Die schwerbeklemmte Brust. Ich sprang empor 
Und sah zum Himmel, sah den Strom hinab; 
Da brach die Sonne leuchtend durchs Gewölk, 
Daß jede well' in ihren Strahl getaucht 
iio Der Hoffnung goldnes Bild zu tragen schien, 
Und durch das Tal im wind herwogend kam 
Der Osterglocken Auferftehungsruf. Smanuel Geisel. 
37. Hermann Lingg. 
i. 
von langer Seelenwand'rung heimgekehrt, 
Drängt's eine Dichterseele, zu berichten, 
was staunend sie erlebt an Weltgeschichten, 
vom Duft der Ferne sagenhaft verklärt. 
2. Ts schwirrt der Hunnenpseil, das Gotenschwert; 
Der Völker Aufblüh'n, Fallen und vernichten 
Zieht uns vorbei in hellen Traumgesichten, 
Und die Gespenster scheinen lebenswert. 
3. Doch tiefer noch bewegt mich dein Gesang, 
wenn du des Herzens ew'ge Weltgeschicke, 
Die dunklen Kämpfe singst der Menschenbrust. 
% In dieser Zeiten überweisem Drang 
Rührt mich dein Lied mit stillem Kindesblicke, 
In Spiel und Tiefsinn göttlich unbewußt. paul y^se. 
II. 
Nun ist er dahingegangen, der Mann mit dem Iupiterkopse und 
den träumenden Augen; der Mann mit der weltumspannenden Phantasie, 
mit den tiefen Gedanken und den hoheitsvollen, klangreichen Worten! 
„Nicht mir ein hohes Alter!" hatte er einst in einem Iugendgedicht das 
Schicksal gebeten. Er wollte früh sterben — und mußte so lang leben, 
daß er es selbst nicht mehr wußte, wie lang! Dasselbe Geschick, das
	        
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