Full text: [Untertertia] (Untertertia)

Und vom andern Flügel sangen die Reichenauer Mönche 
entgegen: 
„Dein harrten unsre Väter schon mit Sehnen, 
Und du erlöstest sie von ihren Tränen. 
Zu dir hinaus erging ihr Schrein und Rufen, 5 
Du warfst sie nicht von deines Thrones Stufen, 
Starker Gott!“ 
Und von rechts und von links klang’s zusammen — schon 
tönten Schwerthieb und dumpfer Fall Getroffener dazwischen—: 
„Verlaß uns nicht, wenn Unkraft uns befallen, 10 
Wenn unser Mut entfleucht, sei Stab uns allen; 
O gib uns nicht dem bittern Tod zum Raube, 
Barmherz’ger Gott, du unser Hort und Glaube! 
Heiliger Gott, heiliger, starker Gott! 
Heiliger, barmherziger Gott, erbarme dich unser!" 15 
So standen sie im Handgemeng’. Staunend hatten die 
Hunnen die herannahenden dunkeln Scharen erschaut; Ge¬ 
heul und der zischende, teuflische Ruf: „Hui! hui!" war ihre 
Antwort auf das „Media vita." Auch Ellak teilte seine Reiter 
zum Angriff, und ringsum tobte der Kampf. Dreingespornte20 
Rosse durchbrachen das schwache Häuflein derer von Sankt 
Gallen; grimmes einzelnes Streiten begann. Es rang die 
Kraft mit der Schnelle, germanische Ungelenkheit mit hunni¬ 
scher List. Da trank die Hegauer Erde manch frommen 
Mannes Blut. 25 
6. 
Beim Heerbann im Mitteltreffen focht Herr Spazzo, der 
Kämmerer, als Führer einer Rotte. Das langsame Vorrücken 
hatte ihm behagt; wie der Kampf aber gar kein Ende nehmen 
wollt’ und alles ineinand verbissen war wie Meute und Edel¬ 
wild auf der Hetzjagd, da ward’s ihm schier zu viel. Eine30 
idyllische* Stimmung kam über ihn mitten unter Tod und 
Todesnot. Erst wie ihm einer im Vorbeireiten den Helm als 
Beutestück abriß, ward er aufgerüttelt aus seiner Betrachtung, 
und wie derselbe, den Versuch erneuernd, ihm auch noch den 
Mantel wegzerren wollte, rief er unwillig: „Ist’s noch nicht35 
genug, du Scharfschütz des Teufels?" und tat einen Stich 
nach ihm, daß des Hunnen Schenkel von der langen Schwert¬ 
klinge an sein Roß angeheftet ward. Jetzt gedachte er, ihm 
den Todesstoß zu geben; doch wie er sein Antlitz schaute, 
war es so häßlich, daß er beschloß, ihn als lebendige Er-40 
Liermann-Bilmar, Lesebuch für Untertertia, 6.-8. Auflage. 3
	        
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