Full text: Für Tertia (Teil 4, [Schülerband])

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Auch die Mehrzahl des Landvolks lebte in Zuständen, die den 
Beamten des Königs jämmerlich schienen, zumal an der Grenze Pommerns, 
wo die wendischen Kassuben saßen. Wer dort einem Dorfe nahte, der 
sah graue Hütten und zerrissene Strohdächer auf kahler Fläche, ohne 
einen Baum, ohne einen Garten — nur die Sauerkirschbäume waren 
altheimisch. Die Häuser waren ans hölzernen Sparren gebaut, mit 
Lehm ausgeklebt; durch die Haustür trat man in die Stube mit großem 
Herd ohne Schornstein; Öfen waren unbekannt, nie wurde ein Licht 
angezündet, nur der Kienspan erhellte das Dunkel der langen Winter¬ 
abende. Das schmutzige und wüste Volk lebte von Brei aus Roggen- 
mehl, oft nur von Kräutern, die sie als Kohl zur Suppe kochten, von 
Heringen und Branntwein, dem Frauen wie Männer unterlagen. Brot 
war fast unbekannt, viele hatten in ihrem Leben nie einen solchen Lecker¬ 
bissen gegessen, in wenig Dörfern stand ein Backofen. Hielten sie ja 
einmal Bienenstöcke, so verkauften sie den Honig an die Städter, außer¬ 
dem geschnitzte Löffel und gestohlene Rinde; dafür erstanden sie auf 
den Jahrmärkten den groben, blauen Tuchrock, die schwarze Pelzmütze 
und das hellrote Kopftuch für ihre Frauen. Selten war ein Webstnhl, 
das Spinnrad war unbekannt. Die Preußen hörten dort kein Volkslied, 
keinen Tanz, keine Musik; stumm und schwerfällig trank das Volk den 
schlechten Branntwein, prügelte sich und taumelte in die Winkel. Auch 
der Baucrnadcl unterschied sich kaum von den Bauern, er führte seinen 
Hakenpflug selbst und klapperte in Holzpantoffeln auf dem ungcdiclten 
Fußboden seiner Hütte. Schwer wurde es dem Prcußcnkonig, diesem 
Volke zu helfen. Nur die Kartoffeln verbreiteten sich schnell, aber noch 
lange wurden die befohlenen Obstpflanzungcn von dem Volke zerstört, 
und alle anderen Kulturversuche fanden Widerstand. 
Ebenso dürftig und verfallen waren die Grenzstriche mit polnischer 
Bevölkerung, aber der polnische Bauer bewahrte in seiner Armseligkeit 
und Unordnung wenigstens die größere Regsamkeit seines Stammes. 
Selbst auf den Gütern der größeren Edelleute, der Starosten und der 
Krone waren alle Wirtschaftsgebäude verfallen und unbrauchbar. Wer 
einen Brief befördern wollte, mußte einen besonderen Boten schicken, denn 
es gab keine Post im Lande; wer erkrankte, fand keine Hülfe als die 
Geheimmittel einer alten Dorffran, denn es gab keine Apotheken. Wer 
einen Rock bedurfte, tat wohl, selbst die Nadel in die Hand zu nehmen, 
denn auf viele Meilen weit war kein Schneider zu finden. Wer ein 
Haus bauen wollte, der mochte zusehen, wo er von Westen her Hand-
	        
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