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29. Das Meer im Leben der Völker.
Tsingtau, als man von England dort feilbieten könnte; dagegen liegt
schon Mailand, geschweige denn die italienische Küste, uns zu fern, um
dort die englische Kohle auszustechen, weil diese fast schon vom För¬
derungsplatz bis nach Italien den Seeweg vor unserer deutschen Binnen¬
landkohle voraus hat. Apfelsinen aus' Italien werden in Hamburg
billiger feilgeboten als in München oder in Wien, weil die Seefracht
von Sizilien nach Hamburg nicht einmal ganz so teuer zu stehen kommt
wie z. B. die Landfracht von Hamburg nach Berlin. So wirft aller¬
wegen der Seehandel wegen wohlfeilster Fracht den meisten Verdienst
ab. Um die billige Seestratze nicht um einen Kilometer unnütz zu ver¬
kürzen, sind ja die größten Seehandelsplätze eben in den innersten Nischen
von Meereseinschnitten ins Land erblüht; und der Millionenverdienst
des Welthandels wirft genug ab, um die Unsummen herzuliefern, die
der Schiffsbau verschlingt, und um jene Millionengarde wackerer Schiffs¬
bemannung zu lohnen, auf daß sie fern der süßen Heimat harte und mit
steter Lebensgefahr bedrohte Arbeit leiste, selbst den Taifunen trotzend.
„Unfruchtbar" nannte Homer die See; und doch wieviel Güter
beschert sie den Menschen aus eigenem, nimmer versiegendem Schatz
und mehr noch dadurch, daß sie die Schätze der ganzen Erde über ihre
spiegelnde Fläche geleitet mit denkbar geringster Beeinträchtigung ihrer
Marktfähigkeit! Über die Eestadeländer des Meeres, zumal der am
intensivsten arbeitenden gemäßigten Zonen, schauen wir einen Abglanz
dessen sich ausbreiten: die verkehrsreichsten Städte, die dem Welthandel
als Hafenorte dienen, Werste, Industriestätten, die überseeisch erzeugte
Rohstoffe aus erster Hand haben wollen, um sie in Kunstprodukte um¬
zusetzen, vereinigen sich an den Küstenstreifen mit einer Fülle kleinerer
Siedelungen, teils auch vom Seehandel oder von Küstenfahrt und
Fischerei lebend, umgeben von meist wohlbestellten Fluren, über denen
der milde Seehauch befruchtend wallet. Der leichter zu erringende
Wohlstand ist es, der die Menschen an die Küste zieht. Darum
zeichnen sich Inseln so oft vor dem benachbarten Festland, kleinere Inseln
unter sonst gleichen Verhältnissen vor größeren aus durch stärkere Volks¬
verdichtung zufolge ihres verhältnismäßig größeren Küstenanteiles. Wo
Land und Meer einander berühren, da zeigt sich mithin naturgemäß am
offenkundigsten des Meeres Segen für die Menschheit.
4. Werfen wir zum Schluß noch einen raschen Blick auf die Be¬
deutung des Meeres für den Staat, so versteht es sich aus dem eben
Gesagten zunächst von selbst, daß jeder Staat, falls er sich der Vorteile