Full text: Lesebuch zur Einführung in die deutsche Litteratur (Teil 6, [Schülerband])

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indem er meine Jugend vorwandte und mich also für keinen Mann 
Passieren lassen wollte. Als er nun solches meinem Herrn vorhielt, 
schickte er auch nach mir und sagte: „Höre, Jägerchen, du sollst mein 
Diener werden!" 
Ich fragte ihn, was'alsdann meine Verrichtungen sein sollten? 
Er antwortete: „Du sollst meiner Pferde warten helfen." „Herr!" 
entgegnete ich, „wir sind nicht für einander; ich hätte lieber einen 
Herrn, in dessen Diensten die Pferde auf mich warten. 
Weil ich aber keinen solchen werde haben können, so will ich 
ein Soldat bleiben." 
Er sagte: „Dein Bart ist noch viel zu klein!" 
„O nein!" erwiderte ich, „ich getraue mich einen Mann zu be¬ 
stehen, der achtzig Jahre alt ist. Der Bart schlägt keinen Mann, 
sonst würden die Böcke hochgeschätzt werden." 
Er sagte: „Wenn die Kourage so gut ist, als das Maulleder, 
so will ich dich noch passieren lassen." 
Ich antwortete: „Das kann bei der nächsten Gelegenheit ver¬ 
sucht werden," und gab damit zu verstehen, daß ich mich für keinen 
Stallknecht wollte gebrauchen lassen. Also ließ er mich bleiben, der 
ich war, und sagte: „Das Werk wird den Meister loben und in 
kurzem zu verstehen geben, ob ich dasjenige leisten werde, was ich 
mir einbilde." 
Hierauf wischte ich hinter meines Dragoners alten Hosen her, 
und nachdem ich dieselben anatomiert und aufgeschnitten hatte, schaffte 
ich mir aus deren Eingeweiden noch ein gutes Soldatenpferd und das 
beste Gewehr, das ich kriegen konnte; und das mußte mir alles glänzen 
wie ein Spiegel. Ich ließ mich wieder von neuem grün kleiden, weil 
mir der Name Jäger sehr beliebte; mein altes Kleid aber gab ich 
meinem Jungen, weil mir's zu klein geworden war. Also ritt ich 
selbander daher wie ein junger Edelmann. Ich war so kühn, meinen Hut 
mit einem tollen Federbusch zu zieren, wie ein Offizier, daher bekam ich 
bald Neider und Mißgönner. Zwischen diesen und mir setzte es ziemlich 
empfindliche Worte und endlich gar Ohrfeigen. Ich hatte aber kaum 
einem oder dreien gewiesen, was ich im Paradiese von dem Kürschner 
gelernt hatte, und daß ich Stöße auszuteilen gewohnt war, wie man mir 
dieselben darzählte, da ließ mich nicht allein jedermann zufrieden, sondern 
es suchte auch ein jeglicher meine Freundschaft. Daneben ließ ich mich 
sowohl zu Roß als auch zu Fuß aufs Parteigehen gebrauchen; denn 
ich war wohl beritten und schnell auf den Füßen, wie einer meines¬ 
gleichen nur sein kann, und was es etwa mit dem Feinde zu thun 
gab, da warf ich mich besser hervor als das Böse in einer Wanne, 
und wollte jederzeit vorn dran sein. Dadurch wurde ich in kurzer 
Zeit bei Freunden und Feinden bekannt und so berühmt, daß beide 
Teile viel von mir hielten, allermaßen mir die gefährlichsten Anschläge 
zu verrichten aufgetragen und zu solchem Ende ganze Parteien zu
	        
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