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die Kastelle und die Stadt gerade vor uns, sodann links der Posi-
lippo und die Erdzungen, die sich bis gegen Procida und Jschia er¬
strecken. Alles war auf dem Verdeck, voran ein für seinen Orient
sehr eingenommener griechischer Priester, der den Landesbewohnern,
die ihr herrliches Vaterland mit Entzücken begrüßten, auf ihre Frage:
wie sich denn Neapel zu Konstantinopel verhalte, sehr pathetisch ant¬
wortete: „Anche questa e una cittä!“ — Auch dieses ist eine
Stadt! — Wir langten zur rechten Zeit im Hafen an, umsummt von
Menschen; es war der lebhafteste Augenblick des Tages. Kaum waren
unsere Koffer und sonstigen Gerätschaften ausgeladen und standen am
Ufer, als gleich zwei Lastträger sich derselben bemächtigten, und kaum
hatten wir ausgesprochen, daß wir bei Moriconi logieren würden, so
liefen sie mit dieser Last wie mit einer Beute davon, so daß wir
ihnen durch die menschenreichen Straßen und über den bewegten Platz
nicht mit den Augen folgen konnten. Kniep hatte das Portefeuille
unter dem Arm, und wir hätten wenigstens die Zeichnungen gerettet,
wenn jene Träger, weniger ehrlich als die neapolitanischen armen
Teufel, uns um dasjenige gebracht hätten, was die Brandung ver¬
schont hatte.
Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Johann Christoph Friedrich Schiller.
Am 10. November 1759 wurde Friedrich Schiller zu Mar¬
bach in Württemberg als zweites Kind und einziger Sohn seiner Eltern
geboren. Sein Vater war in Marbach eingewandert, hatte sich als Wund¬
arzt daselbst niedergelassen und mit Elisabeth Kodweiß, der Tochter
des Gastwirts zum Löwen, verheiratet. Der Ausbruch des siebenjährigen
Krieges hatte den Vater veranlaßt, in dem Württembergischen Kon¬
tingent der Reichsarmee Dienste zu nehmen, war durch seine Tüchtigkeit
zum Range eines Hauptmanns aufgestiegen und war nach dem Friedens¬
schlüsse einige Jahre in L o r ch als Werbeoffizier verwendet worden. Hier
erhielt der Sohn seinen ersten Unterricht von dem Pfarrer Moser. Im
Jahre 1768 wurde der Vater von dem Herzog Karl Eugen zum Garten¬
inspektor des Lustschlosses Solitüde berufen; da zog die Familie in das nahe¬
gelegene Städtchen Ludwigsburg, und der Sohn besuchte die dortige
Lateinschule. Die Eindrücke seiner Jugend und der Wunsch seiner frommen
Mutter hatten in ihm die Absicht erzeugt, Pfarrer zu werden; aber dieser
Hoffnung mußte er entsagen; auf das Drängen des Herzogs mußte er
als Zögling der in dem Lustschlosse neugegründeten Akademie übergeben
werden (1773) und wurde für die juristische Laufbahn bestimmt. Die
strenge militärische Zucht und die Abneigung gegen das aufgedrungene