Full text: Lesebuch zur Einführung in die deutsche Litteratur (Teil 6, [Schülerband])

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In Rudolstadt hatte Frau von Lengefeld mit ihren beiden 
Töchtern Karoline und Charlotte sich niedergelassen. Schiller hatte die 
Familie in Weimar kennen gelernt und wurde nun ihr täglicher Gast. Hier 
begegnete er Goethe zum zweitenmale (am 8. September 1788), ohne daß 
eine Annäherung der beiden Männer herbeigeführt wurde. Aber in einem 
unmittelbaren Zusammenhange mit dieser Begegnung stand die Berufung 
Schillers nach Jena als Professor der Geschichte. Im Frühling 1789 
trat er sein neues Amt an und begann am 26. Mai seine Vorlesungen 
unter ungeheurem Beifall. Nun gelang es ihm auch seinen häuslichen 
Herd zu gründen; nach Beseitigung von mancherlei Schwierigkeiten führte 
er Charlotte vonLengefeld als seine Gemahlin heim (22. Februar 
1790); sie schuf ihm ein reines Eheglück und schenkte ihm zwei Söhne und 
zwei Töchter. Aber schwere Prüfungen stellten sich bald ein; schon zu Beginn 
des Jahres 1791 wurde Schiller von heftiger Krankheit befallen; seine 
Brust war so leidend, daß er nicht nur seine Vorlesungen einstellen, sondern 
jede litterarische Thätigkeit unterlassen mußte. Da er auf die Erträgnisse 
seiner Feder angewiesen war, und seine Pflege große Geldausgaben ver¬ 
ursachte, geriet er bald in finanzielle Bedrängnis; der Herzog vermochte 
nicht zu helfen; da kam vom Auslande eine unerwartete Unterstützung; 
der Herzog Christian Friedrich von Holstein-Augustenburg und der dänische 
Minister Graf Schimmelmann, beide warme Verehrer Schillers, boten 
ihm für die nächsten drei Jahre eine jährliche Beisteuer von 1000 Thalern; 
dankerfüllt nahm Schiller dieses reiche Geschenk an. Nun wichen die 
Sorgen; seine Gesundheit hob sich wieder; seine wiedererwachte Arbeits¬ 
lust wandte sich dem Studium der philosophischen Werke Kants zu; nicht 
nur seine Erkenntnis des Wesens der Kunst, sondern noch mehr die Ethik 
seiner Weltanschauung gewannen hier außerordentliche Förderung und 
Nahrung. Auch die erschreckende Wendung, welche die anfangs mit Hoffnung 
begrüßte französische Revolution genommen hatte, blieb nicht ohne Rück¬ 
wirkung auf Schiller. So begann er mit großen Plänen einen neuen 
Abschnitt seiner Thätigkeit, nachdem er (Sommer 1793) mit seiner Familie 
einen erquickenden Besuch seiner schwäbischen Heimat abgestattet und den 
Winter in Ludwigsburg und Stuttgart zugebracht hatte. Nach seiner 
Rückkehr (Mai 1794) legte seine dritte Begegnung mit Goethe den Grund 
zu dem so bedeutsamen Freundschaftsbunde, und der Arbeitseifer wuchs 
mit den Erfolgen. Die „Horen" wie der „Musenalmanach" machten 
viel Mühe, und wurden nach wenigen Jahren wieder ausgegeben; den Mittel¬ 
punkt des wissenschaftlichen Studiums und des poetischen Schaffens bildete 
immer mehr der „Wallenstein". Die „Geschichte des dreißig¬ 
jährigen Krieges" war schon 1793 vollendet worden. Das Bild des 
großen Feldherrn blieb dem vorsichtigen Geschichtsforscher noch von manchem
	        
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