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Rätsel umschleiert; aber der freischaffende Poet hatte die Berechtigung,
die fehlenden Züge zu ergänzen und aus der tieferen Erfassung des
Wallensteinschen Charakters die Gestalt in ihrer ehernen Größe aufzu¬
richten. Die lebendigste Teilnahme Goethes förderte die Arbeit; als
das Weimarer Theater (am 18. Oktober 1798) wieder eröffnet wurde,
kam „Wallensteins Lager" zur Aufführung (mit dem Prologe); im
Januar und April 1799 folgten „Die Piccolomini" und „Wallen¬
steins Tod". Das Publikum brachte dieser Dichtung ein lebhaftes
Interesse entgegen; ihre Aufnahme übertraf auch die kühnsten Erwartungen.
Aber auch andere glänzende Erzeugnisse der neuen Studien und
Anregungen waren in die Öffentlichkeit getreten; gedankenschwere Dichtungen
waren im Musenalmanach erschienen, so (1795) der „Spaziergang";
„Ideal und Leben"; „Würde der Frauen"; (1796) „Klage des Ceres";
(1797) „Der Taucher"; „Der Handschuh"; „Der Ring des Polykrates";
„Die Kraniche des Jbykus" u. a.; (1800) „Das Lied von der Glocke";
eine Gesamtausgabe der Gedichte war vorbereitet. Da brachte das Ende
des Jahres 1799 die letzte Wendung auf dem Lebenswege Schillers; er
siedelte nach Weimar über.
Sein Entschluß stand fest, der Pflege des Dramas seine ganze Kraft
zuzuwenden; hierzu war seine unmittelbare Beziehung zum Theater jedoch
unerläßlich. Die anfangs gehegte Absicht, nur den Winter in Weimar
zuzubringen, wurde bald aufgegeben; die tiefe Zurückgezogenheit, in welcher
er lebte, kam seiner Arbeit sehr zu statten; „Maria Stuart" wurde
vollendet (1800). Dazwischen hatten schon neue Pläne Gestalt gewonnen;
die „Jungfrau von Orleans" wurde so gefördert, daß sie im Früh¬
ling des nächsten Jahres (1801) Goethe übergeben werden konnte; auch
die Übersetzung von „Macbeth" wurde abgeschlossen und „Turandot"
begonnen.
Der Beginn des Jahres 1802 brachte die erste Aufführung der
„Turandot"; unter mancherlei Entwürfen wurde gewählt und die
„Braut von Messina" bevorzugt; schon die Vorlesung des fertigen
Stückes hinterließ einen bedeutenden Eindruck; aber die erste Aufführung
(19. März 1803) hatte einen Erfolg, welcher in Weimar unerhört war;
zum erstenmal hatte man den Eindruck einer „wahren Tragödie" erhalten
und hielt dafür, daß der theatralische Boden nun zu etwas höherem ein¬
geweiht wäre. Die Einführung des Chores schien am meisten dazu ge¬
eignet, den Charakter der antiken Tragödie wieder aufzurichten; doch
die Erkenntnis, daß die Zerlegung des Schillerschen Chores in einzelne
redende Personen (Bohemund, Cajetan u. a.) die Wirkung zersplitterte,
war der Grund, daß Schiller von einer Wiederholung des Versuches Ab¬
stand nahm.