Full text: Lesebuch zur Einführung in die deutsche Litteratur (Teil 6, [Schülerband])

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„Heißt deine Mutter Ute, die edle Herzogin, 
So wisse, daß ich Hildebrand, dein lieber Vater bin." 
Auf schloß er seinen goldnen Helm und küßt' ihn auf den Mund: 
„Nun sei der reiche Gott gelobt, daß wir beide noch gesund." 
„Ach Vater mein, die Wunden, die ich dir hab' geschlagen, 
Die wollt' ich dreimal lieber an meinem Haupte tragen." 
„Nun schweige still, mein lieber Sohn, der Wunden wird wohl Rat 
Der reiche Gott, der sei gelobt, der uns vereinigt hat." 
Das währte von der None bis zu der Vesperzeit, 
Da kehrte heim gen Berne Herr Alebrand vom Streit. 
Was führt' er an dem Helme? von Gold ein Kränzelein. 
Was führt' er an der Seiten? den liebsten Vater sein. 
Er führt' ihn an der Mutter Tisch und setzt' ihn obenan, 
Er bracht' ihm Essen und Trinken; die Mutter war ihm gram: 
„Ach Sohn, mein allerliebster Sohn, der Ehren ist zu viel, 
Der den Gefangnen oben an zur Tafel setzen will." 
„Nun schweiget, liebe Mutter, und hört, was ich euch sage, 
Er hat mich auf der Heiden schier gar zu Tod geschlagen. 
Nun hört mich, liebe Mutter, kein Gefangner soll er sein: 
Es ist Hilbrand der alte, der liebste Vater mein. 
Ach Mutter, liebste Mutter, nun biet ihm Zucht und Ehr." 
Da hub sie an zu schenken und trug's ihm selber her. 
Was hatt' er in dem Munde? Von Gold ein Ringelein: 
In den Becher ließ er's sinken der liebsten Frauen sein. 
Aus dem Ketiand. 
Altdeutsches Lesebuch in neudeutscher Sprache. Von KarlSimrock. 2. Ausl. Stuttgart, 1884. 
Einzug in Jerusalem. 
Da nahte nun der Nothelfer Christ, 
Der gute, Jerusalem. Entgegen ging ihm 
Viel williges Volk und wohlgesinntes. 
Die empfingen ihn festlich und bestreuten vor ihm 
Den Weg mit Gewändern und würzigen Kräutern, 
Blumen und Blüten und der Bäume Zweigen, 
Mit Palmen das Feld, wohin seine Fahrt ging, 
Als jetzt der Gottessohn einzugehn gedachte 
Zu der weltkunden Burg. Ihn umwogte die Menge 
Der Leute mit Lüsten, und Lobgesang erhob 
Die freudige Menge, den Fürsten verherrlichend, 
Daß er selber gekommen war, der Sohn Davids, 
Sein Volk zu erfreuen. Da sah der waltende Fürst
	        
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