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VIII. Der Vater im Himmel. 
für mich wäre, wenn doch Gott aller Fehd’ ein Ende machen und mich 
selbst regieren wollte. 
Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden! 
Hierbei stell’ ich mir den Himmel mit den heiligen Engeln vor, die 
mit Freuden seinen Willen thun, und keine Qual rühret sie an, und sie' 
wissen sich vor Liebe und Seligkeit nicht zu retten und frohlocken Tag 
und Nacht; — und dann denk’ ich: Wenn es doch also auch auf Erden wäre! 
Unser täglich Brot gieb uns heute! 
Ein jeder weiss, was täglich Brot heisst und dass man essen muss, 
solange man in der Welt ist, und dass es auch gut schmeckt. Daran denk’ 
ich dann. Auch fallen mir wohl meine Kinder ein, wie die so gern essen 
mögen und so flugs und fröhlich bei der Arbeit sind. Und dann bet’ ich, 
dass der liebe Gott uns doch wolle etwas zu essen geben. 
Und vergieb uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern 
Schuldigem. 
Es thut weh, wenn man beleidigt wird, und die Bache ist dem 
Menschen süss. Das kommt mir auch so vor, und ich hätte wohl Lust 
dazu. Da tritt mir aber der Schalksknecht aus dem Evangelium unter die 
Augen, und mir entfällt das Herz, und ich nehm’s mir vor, dass ich meinem 
Mitknechte vergeben und ihm kein Wort von den hundert Groschen 
sagen will. 
Und führe uns nicht in Versuchung! 
Hier denk’ ich an allerhand Exempel, wo Leute unter den und jenen 
Umständen vom Guten abgewichen und gefallen sind, und dass es mir 
nicht besser gehen würde. 
Sondern erlöse uns von dem Übel! 
Mir sind die Versuchungen noch im Sinn, und dass der Mensch so 
leicht verführt werden und von der ebenen Bahn abkommen kann. Zugleich 
denk’ ich aber auch an alle Mühe des Lebens: an Schwindsucht und Alter, 
kalten Brand und Wahnsinn und das tausendfältige Elend und Herzeleid, 
das in der Welt ist und die armen Menschen martert und quält, — und 
ist niemand, der helfen kann. Und du wirst finden: wenn die Thränen nicht 
vorher gekommen sind, hier kommen sie gewiss, und man kann sich so 
herzlich heraussehnen und in sich so betrübt und niedergeschlagen werden, 
als ob gar keine Hülfe wäre. Dann muss man sich aber wieder Mut 
machen, die Hand auf den Mund legen und wie im Triumph fortfahren: 
Denn dein ist das Beich und die Kraft und die Herrlichkeit 
in Ewigkeit. Amen. Matthias Claudius.
	        
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