fullscreen: Kriegsbuch für die Jugend und das Volk

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und der kleine struppige abgetriebene Rotscheck. 
Aber das Pferdchen zog vortrefflich, und das war 
die Hauptsache. Tapfer, mit schnellen efchperigen 
Schritten förderte es seinen Teil Last, und jetzt 
erst kam der Wagen richtig vom Flecke. 
Peter war jedenfalls mit dem Zuwachs sehr 
zufrieden. Er schmauchte seine Pfeife und stapfte 
gewichtig neben dem Fuhrwerk her. Der Kosak 
hatte sich einen Zweig abgerissen und trieb da¬ 
mit seinen Gaul an. 
Nun lichtete sich der Wald. Dürftiges Heide¬ 
land trat zu beiden Seiten an die Straße heran, 
und bald zeigten sich auch bebaute Äcker. Inmit¬ 
ten feiner Baumgärten lag unweit ein Dorf. 
Aber bereits von fern bekundete das ausgebrannte 
Dach der Kirche, daß der Feind hier gehaust hatte, 
uud als man näher kam, gab es das fast schon 
gewöhnte trübe Bild: nackte rauchgeschwärzte 
Mauern, verkohlten zerbrochenen Hausrat, sinn¬ 
lose Verwüstung an den gleichgültigsten Dingen 
und allenthalben viehischen Unrat. Keine lebende 
Seele war aus und ab zu erspähen, totenstill 
breitete sich der Greuel aus. 
Grins zog die Brauen bitterböse zusammen. 
Er sah ein, es ging im Krieg ohne Zerstörung 
nicht ab, geschah sie auch nur, damit der Gegner 
kein Dach mehr über'm Kopfe fand, aber sein 
ganzer sauberer Mensch und sein schlichter Sinn 
lehnten sich gegen die Unvernunft dieses ziellosen 
Vernichtens und gegen die unflätige Beschmutzung 
auf. Mit finstern Blicken maß er den Kosaken, 
der vor ihm herschritt. „Seltsam!" dachte er. „Wie 
hat es der Kerl mit einem Mal eilig! Sollte 
er gar einer der Mordbrenner sein?" 
Der Wagen suhr an der Kirche vorüber. 
Es war ein neuer stattlicher Backsteinbau ge¬ 
wesen, und schöne, glatte, vom Regen längst wie¬ 
der sauber gewaschene Steinstufen führten zu dem 
Portal empor. Peter stieg hinauf und trat an die 
zerfpellte Tür. Aber ein fürchterlicher Gestank 
scheuchte ihn sogleich wieder zurück: just die Kirche 
hatten die russischen Ränder zur Kloake entweiht. 
Einen grimmigen Fluch stieß er da hervor uud 
kehrte sich weg. 
Unten an den Stuseu hielt das Fuhrwerk. 
Der Gefangene stand scheu, mit geducktem Kopfe, 
dabei. „Vorwärts!" ries Grins herrisch, und 
überbeflissen trieb der Russe die Pferde au. Es 
war ersichtlich, er hatte ein schlechtes Gewissen!, 
er wollte fort ans den Ruinen des Dorfes, er 
wollte fort fo schnell wie möglich, und als es 
ihm nicht geschwind genug voranging, stieß er die 
stachlige Spitze des Fichtenastes seinem gescheckten 
Pferdchen tief in die große Wunde am Hüftkno¬ 
chen. Das gepeinigte Tier schlug nicht aus, son¬ 
dern es senkte den Kops und legte sich, vor Angst 
keuchend, mit einem gewaltsamen Rnck in die 
Sielen. Der Lumpenkerl aber hatte nicht genug 
damit und wühlte noch im blutigen Fleisch. 
Da schrie Peter auf: „Du Hund! O du gott¬ 
verdammter Hund!" und traf den Kosaken mit 
der Faust hart in den Nacken. 
Der Gefangene mochte glauben: „Jetzt ist es 
nun einmal um dich geschehen. Das verbrannte 
Dorf hat den Deutschen wütend gemacht. Jetzt 
gilt es — er oder ich!" Mit einem Sprung war 
er Grins an der Kehle. 
Peter war ein schwerer, wenig gewandter 
Mann; er war überdies in den dicken Mantel ge¬ 
hüllt und hatte sich des Überfalls nicht versehen. 
Als der Gefangene sich gegen ihn warf, strauchelte 
er und stürzte hin, jener, von der Wucht des An¬ 
griffs fortgerissen, über ihn weg. Aber Peter 
tag zu unterst. Er wehrte sich so gut es ging 
und hatte auch bald die Rechte des Kosaken zwi¬ 
schen den Fingern. Die kam nun nicht so leicht 
wieder frei, aber der Kerl war mit der Linken 
ebenso behende. Mit einer blitzgeschwinden Dre¬ 
hung schnallte er einen Griff ab und umkrallte 
nun dem Deutschen die Gurgel. Grins suchte 
zu beißen, aber er erwischte die Hand nicht. Die 
Lust begann ihm zu fehlen, er röchelte und rang 
mit letzter Kraft. Da hörte er plötzlich ein wüten¬ 
des Knurren und Pfauchen. Der Kosak schrie 
hellauf und gab ihm jäh den Hals frei. Er 
schüttelte die Linke wie toll, aber der gelbe Teckel 
hatte sich mit seinen scharfen Zähnen tief in das 
Handgelenk verbissen und hing zappelnd daran 
fest. 
Peter war im Augenblick auf und kam über 
den Feind. Mit feiner schweren Wucht packte er 
ihn und schmetterte ihm den Schädel wider die 
steinernen Stufen der geschändeten Kirche. Der 
Kosak brach sogleich zusammen, alles Gestraffte 
an ihm löste sich und gab nach. Seitab lag der 
Karabiner. Grins griff danach und schlug noch 
einmal hart mit dem Kolben zu. Damit war 
es genug. 
Er hielt den Hund, der fortgeschleudert wor¬ 
den war und sich von neuem aus den Toten stür¬ 
zen wollte, rauh zurück, wischte sich umständlich 
den hellen Schweiß von der Stirn und blickte 
sich groß um, als sei er zum andern Male in die 
Welt hineingeboren. Nur zur Seite nach den 
Stufen schaute er nicht. Dann hieß er kurz die 
Pferde angehen und setzte sich neben ihnen her 
in Bewegung, mit jagendem Atem, aber mit sei¬ 
nen gewohnten gewichtig-bedächtigen Schritten. 
Er fuhr den ganzen Tag über allein seines 
Wegs. Als es ihn Zeit dünkte, hielt er Mittags-
	        
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