Full text: Deutsches Lesebuch für höhere Lehranstalten, nebst einem Abriß der Poetik und Litteraturgeschichte

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Ul1^ nun alles mit lebendigen Wesen ausfüllte, dieser Meister, muß er nicht 
3soß und allmächtig sein? — Wenn ihr nun aber auch bedenkt, daß alle die 
^Mmlischen Körper so ganz regelmäßig sich bewegen und keiner den andern 
ln, Einern Lauf hindert; wenn ihr seht, wie alles so ordentlich zusammenpaßt, 
^ die Sonne das Jahr, die Tage und Stunden, wie der Mond die Mo- 
ausmißt; wie die Sonne durch ihr Licht alles erleuchtet und durch die 
-wärme allen Geschöpfen Leben und Wachstum giebt; wie alle Geschöpfe so 
Änlich gebaut sind, alle untereinander und nebeneinander bestehen und leben, 
)ne daß eine Art verloren geht, und wie Regen, Schnee, Tau und schön 
E"er immer ordentlich miteinander abwechseln; — wenn ihr über das alles 
^^nkt: müßt ihr dann nicht über die große, unbegreifliche Weisheit dieses 
^mächtigen Meisters erstaunen? Und endlich überlegt nur einmal, wie viele 
Mionen Menschen, wie viele Tiere, vom kleinsten Würmchen an bis zu den 
faßten See- und Landtieren, auf der Erde und im Meere sind; und wie 
Vögel in der Luft fliegen, vom Adler an bis aus den Zaunkönig, und 
alle die Millionen finden täglich ihre Wohnung, ihre Nahrung und alles, 
as sie bedürfen: meine Lieben! Welch eine unaussprechliche Güte! — und 
. tefer Meister ist Gott. —- Gott, unser himmlischer Vater, ist allmächtig, all- 
~.eiie und allgütig; das sehen wir aus seiner majestätischen Welt, aus seiner 
Köpfung. 
212. Das Kreuz. 
Joseph Görres. 
Das Kreuz ist eine der Grundformen aller Formen auf Erden. Durch 
Reiche der Natur und durch die ganze Geschichte hat es geherrscht und 
'etne Macht erwiesen. Die Heiden haben die Macht ihrer Götter von ihm abhängig 
Zewacht^ und die Propheten haben von ihm geweissagt. Die erste Oberfläche 
l£l M Kreuz beschrieben, sagten die Araber; es sei aus der Kraft der Sterne 
^vorgegangen und behalte in sich die Kraft und den ganzen Geist der Natur; 
^ gesamte Universum, in der Richtung von der Oberwelt zur Unterwelt durch 
^ Mittelwelt mit ihren beiden Seitenrichtungen, sei nach ihm gebaut, und 
j.le Eöeltgegenden in ihm hätten sich gleichfalls ins Kreuz gestellt. Das Henkel- 
war eine Hieroglyphe der Ägypter und bedeutete das künftige Leben; 
a e ihre Götter führten es daher in Händen. Die ägyptischen Priester hatten 
^tne alte Weissagung: so lange würde das Altverehrte aufrecht stehen, bis 
Lne§ Zeichen erscheine, in dem das Leben sei. Auch die Sibylle hat von diesem 
hwbole geweissagt, und Moses hat es mit der Schlange in der Wüste auf= 
Richtet. — Durch die ganze Natur tritt es hervor; die Bäume erwachsen in 
Elneiu Gesetz; die Vögel, durch die Lüste fliegend, sie bilden mit ausgebreiteten 
* ugeln die Kreuzesform; des Menschen Gestalt ist in dieser Form aufgebaut, 
^ allem, was er ersinnt und ertrachtet, bis zur innersten Werkstätte des Ge- 
^uk.eus hin, ist sie aufgeprägt; wenn er wandelt, wenn er aus den Wassern 
URnum, ist es immer nur dieses Zeichen, das er in den Elementen bewegt, 
snn er mit dem Pfluge die Erde bebaut, so wirft er sie in diesem Zeichen 
auf; 
wenn er im Schiffe über die Meere segelt, so einigen sich Mast und 
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9" in diesem Zeichen, und in ihm zieht sich die Meeresfnrche; wenn er
	        
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